Unlängst durfte ich die Globalisierung wieder einmal hautnah miterleben: Manjunath, der nette Adobe-Mitarbeiter, richtete mir via Live-Chat und Fernzugriff auf mein Notebook ein kleineres Software-Problem. Manjunath saß dabei etwa 9000 Kilometer entfernt in Indien, einem beliebten Land bei Software-Firmen, die dort günstig ihre Call-Center betreiben. Eine Kollegin meinte, dass es ja lustig gewesen wäre, wenn ich ihn auch noch vom letzten Indien-Trip gekannt hätte. Dabei bin ich einer neuen Studie zufolge möglicherweise bereits mit Manjunath bekannt – nämlich um 4,74 Ecken.
Wie das Facebook Data Team kürzlich in einem Blog-Eintrag verlautbart hat, hätte man gemeinsam mit der Università degli Studi di Milano die bisher größte Studie zu sozialen Netzwerken durchgeführt. Mit einer an der milanesischen Uni erstelltem Formel wurden 721 Millionen aktive Facebook-Nutzer (mehr als zehn Prozent der Weltbevölkerung mit 69 Mrd. „Freundschaften“) und die Verbindungen unter ihnen analysiert. Das Ergebnis: Jedes Facebook-Mitglied ist von jedem anderen im Schnitt um 4,74 Ecken verbunden. Oder anders gesagt: Jeder andere User ist der Freund eines Freundes eines Freundes eines Freundes eines Freundes.
Es waren einmal: Sechs Ecken
Diese Art der Forschung ist nichts Neues: Wie ich auch in meinem Buch beschrieben habe, hat der US-Wissenschaftler Stanley Milgram bereits 1967 das „Kleine-Welt-Phänomen“ beschrieben. Damals stellte er in einem Brief-Experiment fest, dass Menschen durschnittlich um 5,5 Ecken miteinander bekannt sind – aufgerundet formulierte er seine „Six Degrees Of Seperation“-These. Viele andere Forscher haben sich seither dem Thema gewidmet, und bei Business-Netzwerken wie XING kann man sich sogar anzeigen lassen, wie weit man von einem anderen Mitglied entfernt ist.
Zu Mark Zuckerbergs Bestreben, die Welt nicht nur in ein Dorf, sondern gleich in einen College-Schlafsaal zu verwandeln, passen die Studienergebnisse scheinbar ganz gut. 4,74 Ecken – das klingt schön klein, friedlich und kuschelig. Laut Facebook Data Team würde die Welt dank digitaler Vernetzung näher zusammenrücken: Von den 5,5 Ecken Milgrams zu den 5,28 Sprüngen im Jahr 2008 zu den jetzigen 4,74 Hupfern.
Wenn man das Kleine-Welt-Phänomenin in absoluten Zahlen darstellt, sieht die Sache aber nicht mehr so kuschelig aus. Ein weiteres Resultat der Studie war, dass Facebook-Nutzer heute im Schnitt 190 Kontakte in dem Online-Netzwerk haben. Auf Basis dieser Zahl folgende Hochrechnung:
0 Ecken = 190 Personen
1 Eck = 30.100 Personen
2 Ecken = 6,9 Mio. Personen
3 Ecken = 1,3 Mrd. Personen
4 Ecken = 247,6 Mrd. Personen (= 35-fache der Menschheit)
Selbst wenn man nur 100 Facebook-Freunde im Schnitt annimmt (50 Prozent der Facebook-Nutzer haben maximal so viele), sieht es folgendermaßen aus:
1 Eck = 10.000 Personen
2 Ecken = 1 Mio. Personen
3 Ecken = 100 Mio. Personen
4 Ecken = 10 Mrd. Personen (es gibt „nur“ etwas mehr als 7 Mrd. Menschen)
So sieht die Sache schon anders aus und die Welt wirkt nicht mehr wie ein globales Dorf. Exponentielle Folgen (hoch x) lassen sich nur schwer abschätzen, und die „Degrees of Separation“ suggerieren uns Nähe, wo keine ist. Außerdem vergisst man ob solcher Zahlen, dass hier nur die Quantität von Beziehungen, nicht aber die Qualität dieseruntersucht wird. „Wir sind Leuten nahe, die uns nicht notwendigerweise mögen, mit uns sympathisieren oder irgendetwas mit uns gemeinsam haben“, sagte etwa Jon Kleinberg von der Cornell University zur New York Times. Ihm zufolge würden wir dank Facebook nicht mehr echte Freunde, sondern lediglich mehr schwache Beziehungen haben.
Nicht wirklich näher
Umgelegt auf Manjunath heißt das: Nur weil ich mit ihm theoretisch um 4,7 Ecken kenne und mit ihm gechattet habe, heißt das nicht, dass er außerhalb seiner Arbeitszeit irgendetwas mit mir zu tun haben wollen würde. Selbst mit Menschen, die wir um ein Eck kennen (Freunde von Freunden), verstehen wir uns nicht immer auf Anhieb, geschweige denn dauerhaft. Das kann man auf jeder Party nachprüfen.
Übrigens: Das Facebook-Forschungsteam will auch herausgefunden haben, dass unsere Facebook-Freunde meistens das selbe oder ein ähnliches Alter haben wie wir. Sorry liebes Facebook Data Team, aber: A geh wirklich?