Weil gerade das halbe Silicon Valley dabei ist, der guten alten SMS das Wasser abzugraben, hat jetzt auch Facebook zur Schaufel gegriffen. Am Mittwoch hat das Unternehmen eine neue Smartphone-App vorgestellt, die auf den schlichten Namen Messenger hört. Facebook-Mitglieder mit iPhones und Android-Handys in den USA und Kanada können sich die Software gratis auf ihr Gerät laden. „Es ist nicht immer leicht, den besten Weg zu erraten, wie man jemanden am Handy erreichen kann. Soll man lieber ein eMail schicken oder doch eine SMS? Was schauen sie zuerst nach? Haben sie die letzte Nachricht überhaupt bekommen?“, schreibt Facebook-Ingenieurin Lucy Zhang. „Wir wollen das einfacher machen.“ Sie war auch Mitbegründerin der Group-Messaging-App Beluga, die Facebook vor kurzem aufgekauft hat, und hat ihr Know-how jetzt offensichtlich in das neue Produkt einfließen lassen.
Chatten am Touchscreen
Was also ist so einfach am „Messenger“? Ich habe mir die App mit meinem US-iTunes-Account besorgt und bereits mit Arbeitskollegen ausprobiert. Wer die alte iPhone-App von Facebook kennt, braucht sich nur alle Funktionen bis auf „Nachrichten“ wegdenken und weiß ziemlich genau, wie „Messenger“ funktioniert. Man kann damit eine Nachricht via mobilem Internet an seine Facebook-Kontakte schicken, ein Bild anhängen und außerdem seine Position mitsenden. Facebook wäre nicht Facebook, wenn die Ortung nicht voreingestellt wäre und vom Nutzer im Nachhinein abgedreht werden müsste. Weiters ist es möglich, eine Nachricht auch an mehrere Facebook-Freunde gleichzeitig zu schicken – möglicherweise praktisch, wenn man sich einen Treffpunkt ausmachen will. Damit „Messenger“ sich wie SMS verhält, kann man auch Push Notifications einstellen. Wenn eine neue Message eintrudelt, informiert die App darüber wahlweise per Ton, Vibration und/oder optischem Hinweis.
Facebook nutzt die Gelegenheit auch gleich aus, um die Nutzer ihre Handynummer angeben zu lassen. Nach dem Login wird man danach gefragt, man kann den Schritt aber überspringen. Außerdem will Facebook auch Kommunikation nach außen zulassen. So kann man auch Messages an Nummern aus dem Adressbuch verschicken. Der Empfänger bekommt die Nachricht als herkömmliche SMS zugestellt, derzeit ist das aber auf die USA und Kanada beschränkt. Die App ist außerdem an das Nachrichten-System der Online-Plattform angeschlossen. Über die App hat man Zugriff auf alle privaten Nachrichten und Konversationen, die man jemals in dem Online-Netzwerk mit anderen Nutzer geschrieben hat – da läuft es einem kalt über den Rücken, wenn man die privaten Konversationen mit Facebook-Freunden plötzlich übersichtlich geordnet vor Augen hat (und weiß, dass die Nachrichten nicht am Handy, sondern auf den Servern von Facebook gespeichert sind).
SMS-Ersatz
Facebook hat mit „Messenger“ keine neue oder eigenständige Idee abgeliefert, sondern springt auf einen fahrenden Zug auf. Die Gruppen-Messaging-Software WhatsApp hat mehr als 15 Millionen Nutzer begeistert, Google hat mit „Huddle“ eine Gruppen-Chat-Funktion in Google+ integriert, und Apple wird im kommenden Betriebssystem iOS 5 (für iPhone und iPad) sein „iMessages“ integrieren, mit dem man SMS-ähnliche Nachrichten an andere iOS-Nutzer schicken kann. All das läuft darauf hinaus, die Position der Handy-Betreiber zu schwächen. Heute ist ist der SMS-Markt weltweit 127 Mrd. Dollar schwer, die 160-Zeichen-Botschaften tragen wesentlich zu den Einnahmen der Mobilfunker bei. Mit Apps wie „Messenger“ wird dieses Geschäft untergraben, weil die Kunden plötzlich vermehrt diese Gratis-Dienste nutzen und weniger SMS verschicken, die die Handy-Betreiber verrechnen können.
Google, Apple und Microsoft (ein großer Facebook-Investor) können als Hersteller von Handy-Software und -Hardware so ihre Position gegenüber den Mobilfunkern stärken und den Markt zu ihren Gunsten drehen. Wen die genauen Details dieses Umbruchs interessieren, kann sie in meinem Artikel „SMS: Der Anfang vom Ende einer Ära“ nachlesen, den ich vor kurzem für www.futurezone.at geschrieben habe.
Gruppendynamik
Warum plötzlich die IT-Riesen auf Gruppen-Chats abfahren, hat interessante soziologische Hintergründe. Jeder kann seine engsten Vertrauten – Freunde, Familie, Lebensgefährte – wahrscheinlich an einer Hand abzählen. Bei der Group-Messaging-App WhatsApp etwa ist die maximale Teilnehmerzahl 5 und kommt nicht von ungefähr. Der US-Wissenschaftlerin und Buchautoren Sheila Margoris, die sich mit Organisationsstrukturen auseinandersetzt, ist die optimale Team-Größe zufolge 5, wie sie etwa in diesem Blog-Eintrag beschreibt. In dieser Gruppengröße würden in der Arbeitswelt am effizientesten Entscheidungen getroffen. Das Phänomen kann aber jeder auch im privaten Bereich beobachten. Wenn man beispielsweise am Abend zu sechst ausgeht, fällt die Gruppe sehr häufig in zwei kleinere Dreiergruppen auseinander. Zu fünft ist hingegen noch ein gemeinsames Gespräch möglich.
Das Phänomen lässt sich auch leicht in Zahlen darstellen: Bei fünf Personen ist die Zahl der Beziehungen aller Gruppenmitglieder 10, bei sechs liegt sie schon bei 15, bei sieben bei 21. Nur ein weiteres Gruppenmitglied steigert die Komplexität des Beziehungsgeflechts innerhalb einer Gruppe also stark. Interessant ist diesbezüglich auch, was die Plattform Friendfeed, die von Facebook aufgekauft wurde, festgestellt hat: Wenn ein neues Mitglied eines Online-Netzwerkes fünf andere Nutzer findet, die es bereits kennt, dann ist die Wahrscheinlichkeit sehr groß, dass sie sich wieder einloggen wird, ist die Zahl kleiner, wird es wahrscheinlich nicht mehr wiederkommen.