Eines muss man Mark Zuckerberg lassen. Er hat wie kaum ein anderer einen der wichtigsten Paradigmenwechsel der postindustriellen Gesellschaft verinnerlicht und füttert ihn mit seinen Produkten. Das wurde auch wieder auf der f8 Konferenz klar, die vor einigen Stunden in San Francisco über die Bühne ging und als wichtigster Facebook-Event die kommenden Neuerungen des Online-Netzwerks an den Start brachte. Wieder geht es um die Freunde – also jenes soziale Geflecht, dass seit dem Aufstieg zur Dienstleistungsgesellschaft die Familie als wichtigste soziale Instanz abgelöst hat. Mit dem Ausbau des Open Graph Protocol treibt Zuckerberg die technische Dokumentation eines fundamentalen Informationsflusses voran, den man kurz als „Freundesempfehlungen“ beschreiben kann.
Empfehlungen unter Freunden
Künftig sollen Facebook-Nutzer automatisch ihren Facebook-Kontakten mitteilen können, welchen digitalen Inhalte sie gerade konsumieren. Das kann etwa Musik, ein Film, ein Artikel oder ein Spiel sein – hat man einmal einer App wie Spotify oder Netflix (beide noch nicht in Österreich verfügbar) die Erlaubnis erteilt, sendet diese regelmäßig Informationen an die neuen Newsticker der Facebook-Freunde (auf der Startseite rechts oben) und blendet ihnen ein, was der andere gerade so ansieht. Mit einem Klick kommt man zu dem entsprechenden Stück Content (ein Song, ein Video, etc.) und kann es konsumieren. Das ist sowohl für Facebook als auch den App-Anbieter nützlich: Das Online-Netzwerk kann erfassen, welche Inhalte den Nutzern interessieren und seine Werbetechniken verfeinern, und die App-Anbieter bekommen einen neuen potenziellen Kunden geliefert. Immerhin seien Facebook-Nutzer zweimal eher bereit, online für Inhalte zu zahlen als andere Internet-Nutzer, wurde im Rahmen der f8 betont. Ob sie das wie bei in Apples „App Store“ und „iTunes Store“ tun werden, bleibt abzuwarten.
In der Vergangenheit stöbern
Damit man nicht nur in Echtzeit („XY hört gerade den Song XY“) über die Freundschaftsempfehlungen stolpert, sondern auch in der Vergangenheit graben kann, hat Zuckerberg die Nutzer-Profile komplett umbauen lassen. „Timeline ist die Geschichte deines Lebens und ein völlig neuer Weg, sich selbst zu präsentieren“, sagte Zuckerberg auf der f8. Chronologisch verkehrt und optisch ansprechend werden alle Facebook-Aktivitäten in chronologisch verkehrter Reihenfolge gelistet – so kann man quasi mit der Maus in einer Art interaktivem Tagebuch in der Zeit zurückscrollen – sowohl in der eigenen Timeline als auch in den Timelines von Facebook-Freunden. Der Zweck ist klar: Die Nutzer sollen damit mehr Zeit auf Facebook verbringen und jenen Content konsumieren, den die Freunde schon einmal angeschaut haben.
Automatische Erfassung
Die neuen Facebook-Produkte haben aber ihre Haken. Laut Facebook-CTO Bret Taylor könne man via Timeline später auf Dinge stoßen, an die man sich gar nicht mehr erinnern kann. Im analogen Leben hat das Vergessen eine wichtige Funktion, hilft es uns doch, alten Ballast abzuwerfen. Mit den „Open Graph Apps“ wird die digitale Dokumentation aber immer stärker automatisiert. Man klickt nicht mehr auf viele „Likes“, sondern autorisiert Apps zur umfassenden Speicherung von Internet-Aktivitäten – wozu man sich in einigen Jahren noch an das Spielen eines Facebook-Games erinnern soll, ist nicht nur fragwürdig, sondern lediglich im Interesse der Werbefirma Facebook. Als ehemaliger Psychologie-Student hat Zuckerberg jedenfalls erkannt, wie er die Neugier der Menschen an anderen Menschen stillen kann – man kann davon ausgehen, dass intensiv neugierige Nasen in die Timelines anderer gesteckt werden.
Lästige Besserwisser
Mit den Freundschaftsempfehlungen (die über die Umwege „Werbung“ und „Credits“ Geld bringen sollen) hat sich Zuckerberg und seine Mannschaft aber vielleicht verschätzt. Beispiel Musik: Auf Partys (also einem sozialen Event, den Facebook virtuell imitieren will) machen sich jene Gäste, die die anderen mit ihrer eigenen Musik zwangsbeglücken, nicht selten unbeliebt – die Tanzfläche ist immer noch dann am vollsten, wenn ein Klassiker, den alle kennen, aufgelegt wird. Durch einen Tipp von Freunden muss niemand einen solchen Hit entdecken. Zuckerbergs Leitmotiv, dass Erlebnisse dann am meisten Spaß machen, wenn man sie mit Freunden teilt, ist im Grunde richtig. Ob es den Nutzern aber auf Dauer Freude macht, vor dem Computer-Bildschirm zeitgleich mit anderen Musik, Filme und Games zu konsumieren, ist fraglich. Denn Zeit mit Freunden ist immer noch dann am besten, wenn man nicht durch eine Internet-Leitung von ihnen getrennt ist.