Ich hatte einmal die Gelegenheit, mich off records mit dem CEO eines großen deutschen Social-Web-Dienstes über Facebook zu unterhalten. Er als langjähriger Branchenkenner umriss die Strategie von Facebook in etwa so: Ein, zwei Mal im Jahr bringt das Online-Netzwerk starke neue Produkte/Funktionen, die das Kerngeschäft weiterbringen, und alle anderen Neueinführungen dienen dazu, die Konkurrenz nicht überholen zu lassen bzw. ein wenig von der Hauptstrategie abzulenken („Nebelgranaten“).
Nicht überholen lassen
Nach diesem Schema kann man auch die neuesten Funktionen von Facebook einordnen. Während Open Graph und Timeline das Online-Netzwerk wirklich voranbringen und der Konkurrenz voraus sind, ließ man sich bei vielen anderen Funktionen von anderen Web-Diensten inspirieren. So etwa beim neuen „Listen With“-Button, mit dem man via Facebook mit Freunden gemeinsam Musik hören kann. Das Musik-Start-up Turntable.fm, 2011 im Silicon Valley schwer gehypt, hat so eine Funktion schon seit längerem und zeigte sich geschmeichelt, dass Facebook den Button kopiert hat (ZDNet-Bericht). Ein paar weitere Beispiele gefällig?
Google+: Das Ende Juni 2011 gestartete Online-Netzwerk von Google (selbst „inspired by Facebook“) wurde von der Fachpresse vor allem wegen seiner Circle-Funktion gelobt, mit der man Kontakte relativ simpel in Gruppen einteilen kann. Keine zweieinhalb Monate dauerte es, da legte Facebook verbesserte Freundeslisten („Smart Lists“) nach, die ebenfalls auf eine einfache Einteilung von Kontakten abzielen.
Twitter: Der Kurznachrichten-Dienst, dessen Übernahme 2008 um kolportierte 500 Mio. Dollar gescheitert ist, hat es Facebook besonders angetan. Funktionen, die es zuerst bei Twitter gab, haben es auch in das Online-Netzwerk geschafft. Das Follow-Prinzip von Twitter gibt es seit September 2011 auch für Facebook-Nutzer, ein dazu passender Subscribe-Button für Webseiten wurde im Dezember 2011 eingeführt. Auch der neue Ticker, den immer mehr Nutzer in der rechten Spalte eingeblendet bekommen, erinnert stark an den Twitter-Stream.
Groupon: Auch der Schnäppchen-Dienst Groupon, der seit kurzem an der Börse ist, ist bei den Facebook-Entwicklern auf Wohlgefallen gestoßen. 2010 hat Groupon viel Aufmerksamkeit seitens Nutzer und Presse erhalten, im Jänner 2011 wurden die Facebook Deals vorgestellt (und wegen Mißerfolg wieder zurückgefahren).
WhatsApp: Dass immer mehr Smartphone-Nutzer statt SMS Kurznachrichten über die App zweier Ex-Yahoo!-Mitarbeiter versenden, ist auch Facebook aufgefallen. WhatsApp wurde 2009gegründet, ist 2010/11 richtiggehend explodiert – und im August 2011 von Facebook mit einer Kopie, der Messenger-App, gewürdigt worden.
Foursquare: Der Lokalisierungs-Dienst aus New York wurde vor allem 2010 als eines der vielversprechendsten Start-ups gefeiert und konnte Millionen Nutzer begeistern – Facebook Places wurde im August 2010 als Antwort gestartet, im Dezember 2011 schließlich der Foursquare-Konkurrent Gowalla von Facebook übernommen.
Quora: Im Jänner 2010 startete der ehemalige Facebook-Mitarbeiter Adam D`Angelo den Web-Dienst fürs „Fragenstellen 2.0″, im Juli 2010 antwortete sein Ex-Arbeitsgeber mit dem (mäßig erfolgreichen) Produkt Facebook Questions.
Friendfeed: Die Idee zum heute äußerst populären Like-Button hatte auch nicht Facebook selbst. Der Social-News-Dienst Friendfeed hatte einen solchen schon im Programm, als Facebook im Februar 2009 seinen eigenen „Like“ einführte (neben anderen Friendfeed sehr ähnlichen Funktionen). Weil der damalige Konkurrent offensichtlich für viele Ideen gut war, kaufte Facebook Friendfeed im August 2009 vorsichtshalber um 47,5 Mio. Dollar auf. Der ehemalige Friendfeed-CEO Bret Taylor ist heute Technikchef von Facebook.
Flickr: Im September 2006 hat Facebook eine seiner bis heute zentralen Funktionen, den Newsfeed eingeführt. Dieser holt Updates der Freunde auf einer Seite, chronologisch geordnet, zusammen und erspart den Nutzern, die Profile der Freunde extra ansurfen zu müssen. Die Idee war nicht neu: Die Foto-Seite Flickr hatte damals bereits eine ähnliche Funktion.
Who´s next?
Natürlich darf man jetzt nicht glauben, dass Facebook die einzige Webseite ist, die sich andernorts Inspiration für neue Features holt – auch Facebook selbst ist für andere Quelle der Inspiration (dazu bald mehr in einem neuen Blogpost). Fix scheint aber, dass das Online-Netzwerk auch in Zukunft Funktionen der Konkurrenz nachahmen wird. Pinterest, Instagram, Dropbox, Tumblr oder Evernote erscheinen mir als die aussichtsreichsten Kandidaten.