Dating, Flirten, Quickies – das Thema Sex ist auch nach tausend und einer Single-Plattform so heiß, dass man eine kleine App wie Tinder schnell groß machen kann. Reduziert aufs Wesentliche, kann man mit der kostenlosen Smartphone-Anwendung schnell und einfach Flirt-Willige in der eigenen Umgebung finden, tritt aber gleichzeitig ziemlich viele Rechte an seinen Daten ab. Der altbekannte Deal also.
“Googeln”, “twittern” und “facebooken” haben es sich schon länger im Deutschen gemütlich gemacht, und jetzt schickt sich ein neues Zeitwort an, sich in unserer Alltagssprache festzusetzen: “tindern”. Dieses Wort benutzen bereits einige junge Menschen in Deutschland und Österreich, wenn sie am Smartphone nach einem schnellen Flirt suchen. Die passende App dazu heißt logischerweise Tinder und ist kostenlos für iPhone und Android erhältlich. Sie funktioniert denkbar einfach und ist genau deswegen so raffiniert: Man loggt sich per Facebook ein (eine andere Möglichkeit gibt es nicht), überträgt damit Daten wie Name, Profilbild, Alter Geschlecht und Interessen (“Likes”) in die App, gibt an, an welchem Geschlecht (ja, Tinder funktioniert anders als “Bang with Friends” auch für Homosexuelle), welcher Altersgruppe und welchem Aufenthaltsort (z.B. 22 bis 30-Jährige im Umkreis von 20 Kilometern) man interessiert ist, und los geht´s. Tinder präsentiert nach wenigen Sekunden das erste Mitgliederprofil, das den angegebenen Kriterien entspricht.
Per „Double Opt-in“ zum schnellen Sex
Der digitale Flirt kann aber nur dann beginnen, wenn beide Tinder-Nutzer gegenseitiges Interesse bekunden. Und das geht so: Die App lässt den Nutzer durch eine schier endlose Reihe an Profilen blättern und diese positiv (“Liked”) oder negativ (“Nope”) bewerten – man wischt das präsentierte Profilbild dazu am Touchscreen einfach nach links (“Nope”) oder rechts (“Liked”). Wenn Tinder nun zwei Nutzer findet, die sich gegenseitig liken (ein so genannter “double opt-in”), dann poppt ein “It´s a Match!” am Bildschirm auf, und erst jetzt können sie ihren Flirt per Direktnachrichten beginnen. Was sich die User da so schreiben, kann man auf Tumblr-Blogs wie “Teach Me Hot To Tinder”, “How To Lose A Guy In One Tinder” oder “Tinderlove” nachlesen. Außerdem soll es bereits Tinder-Saufspiele geben, bei denen man einen Schnaps trinken muss, wenn man einen “Match” schafft – allesamt Anzeichen, dass sich die App immer stärker im Alltag junger Menschen verwurzelt.
Das Raffinierte an Tinder ist, dass die Flirtpartner-Suche in wenigen Augenblicken startklar ist – langwieriges Ausfüllen von Interessensprofilen wie bei anderen Portalen gibt es hier nicht. alles ist auf eine möglichst spartanische Mobile-Experience getrimmt. Wer unbedingt will, kann sein Profil noch mit bis zu sechs Fotos und einem maximal 500 Zeichen langen Text aufpolieren. Verboten ist aus Sicherheitsgründen übrigens, Nachnamen, Telefonnumern, E-Mail-Adressen oder Postadressen anzugeben. Interessen (= Facebook-Likes) bekommen die anderen Nutzer nur zu sehen, wenn sich die “Gefällt mir”-Angaben mit ihren eigenen decken. Insgesamt geht es bei Tinder also anders als bei anderen Flirt-Börsen sehr stark um Äußerlichkeiten – wenn das Profil nicht gefällt, wird es von den Nutzern sofort weggewischt. Tinder hat deswegen den Ruf, gut für Quickies zu funktionieren, aber eher weniger, wenn es um die Befriedigung von Hochzeitswünschen geht. Angaben des Facebook App Center zufolge hat Tinder fünf Millionen aktive Nutzer, Tinder-Gründer sprach im November 2013 gegenüber Techcrunch von 4 Millionen Matches und 400 Millionen Swipes pro Tag.
Wie viel aktive Nutzer Tinder nun hat, ist derzeit nicht konkret zu erfahren – es sind jedenfalls genug, um z.B. im Raum Wien genug Profile von Nutzern zwischen 20 und 35 präsentieren zu können – sogar einige Plus-40-Nutzer sind dabei (Mindestalter ist 13 wie bei Facebook, 55 ist das Höchstalter).
Liebe schützt nicht vor Daten-Gier
Soweit zum spaßigen Teil der Geschichte. Ernster wird es, wenn man sich die Nutzungsbedingungen des App-Anbieters aus West Hollywood durchliest. Tinder behält sich vor, Background-Checks der Nutzer zu machen (z.B. Abgleich mit Datenbanken zu Sexualstraftätern) und sämtlichen Content (also auch die Direktnachrichten) überwachen zu können. Die Macher weisen auch jegliche Schuld von sich, sollte ein Nutzer im Zuge von Offline-Treffen zu Schaden (physisch oder emotional). Auch Coypright-Probleme (z.B. wenn Nutzer urheberrechtlich geschützte Fotos hochladen) schwanen dem Unternehmen, das einen eigenen Copyright-Agenten beschäftigt.
Selbst geht das Unternehmen nicht zimperlich mit den Nutzerdaten um. Denn diese geben Tinder und seinen Mutter- und Tochterunternehmen (dazu unten mehr) mit dem ersten Login das weltweite, unbefristete, unwiderrufliche, nicht-exklusive und gebührenfreie Lizenzrecht Recht, den eigenen Content (also in erster Linie die Fotos, aber auch persönliche Daten wie Alter, Name, Geschlecht und Wohnort) zu kopieren, zu übertragen, zu verbreiten, öffentlich aufzuführen und in künftigen Web-Diensten anzuzeigen und von den Inhalten Derivate erstellen zu dürfen. Tinder räumt sich also im Prinzip die gleichen Rechte für den Nutzer-Content ein wie die Facebook-Tochter Instagram, die genau dafür scharf kritisiert wurde, weil Nutzer Angst hatten, dass die Foto-App ihre Bilder verkaufen würde. Außerdem erlaubt sich Tinder, die Nutzerdaten an Werbeunternehmen und Analyse-Firmen weiterzugeben. Immerhin werden bereits so genannte Native Ads zwischen die Profile gemischt, damit Werber die jungen Nutzer am Smartphone z.B. mit Gutscheinen versorgen können. Wer die App verwendet, muss sich außerdem darauf gefasst machen, dass die ID-Nummer des eigenen Smartphones, das Nutzungsverhalten (Zeit, Klicks etc.), GPS-Koordinaten und natürlich die persönlichen Informationen auf Servern in den USA gespeichert werden und damit bekannterweise einfach von der NSA durchsucht werden können.
Die eigenen Daten können aber nicht nur zur NSA, sondern auch zum Mehrheitseigentümer von Tinder fließen – die New Yorker Internet-Firma IAC/InterActiveCorp. Dieser gehören neben Vimeo und CollegeHumor vor allem die Daten-Portale Match.com, Meetic, OkCupid, Chemistry.com und PeopleMedia. Tinder ist also nicht unbedingt ein kleines, cooles Start-up, sondern kann sich wohl mit Hilfe des Know-how des Eigentümers derzeit gegen Konkurrenten wie HotorNot oder Badoo durchsetzen.
17 Internet-Phänomene, die Dein Leben auf den Kopf stellenJakob Steinschaden