Vielleicht ist es Facebook, vielleicht ist es die NSA, wahrscheinlich sind es beide zusammen: Angebot als auch Nachfrage nach Privatsphäre und Anonymität berücksichtigenden Internet-Angeboten steigt (wie ich schon einmal hier beschrieben habe). Das sind Google-Alternativen wie DuckDuckGo oder Startpage, Verschlüsselungs-Dienste wie PGP oder TOR – oder neuerdings Smartphone-Apps, die den Nutzern Anonymität versprechen, damit sie so offen wie nirgendwo sonst online sprechen können. Die beiden derzeit populärsten sind Secret (gratis für iPhone) und Whisper (gratis für iPhone und Android).
Whisper: Vertrauliches ausplaudern
“My girlfriend wants me to pretend to break into her house and rape her.” “He broke up with me on Valentine`s Day, the day I was going to announce my pregnancy.” “When I look at porn I tend to stare at the female. Does that make me a lesbian?” Nein, solche Postings liest man bei Facebook, wo Hurra-Meldungen und schöne Urlaubsfotos dominieren, eher nicht. In der Smartphone-App Whisper aber findet man unzählige solcher Status-Updates. Wer sie geschrieben hat, erfährt man in der Regel aber nicht – denn die App will es den Nutzern ermöglichen, anonym oder unter einem Decknamen zu schreiben. So soll ein Social Network entstehen, in dem die Nutzer frei von sozialem Druck ihre ehrliche Meinung veröffentlichen können, quasi ein virtueller Beichtstuhl. Allerdings einer, bei dem Millionen mitlesen und auch antworten können. Per Chat oder Direktnachricht kann man den anderen Tipps, Ratschläge, Beileid oder auch Häme zukommen lassen. In den USA ist Whisper bei Teenies mittlerweile so populär, dass sich Risikokapitalgeber darum reißen, bei der dahinter stehenden Firma WhisperText LLC von Michael Heyward und Brad Brooks investieren zu dürfen. Gerüchten zufolge soll die App bereits auf 100 Millionen Dollar Marktwert geschätzt werden und pro Monat 2,5 Milliarden Page Views verzeichnen.
Secret: Unerkannt ausplaudern
Während es bei Whisper stark um die Vernetzung zu Fremden geht, dreht sich die App Secret darum, anonym Gedanken mit Bekannten zu teilen. Statusmeldungen wie “My hair looks best when I don´t wash it for two days”, “Sometimes I feel alone, even when I´m with people who love me.” oder “When I see happy couples, I can´t help but want what they have.” werden anonymisiert an Kontakte aus dem Smartphone-Adressbuch geschickt, die ebenfalls Secret installiert haben – wer hinter den Postings steckt, bleibt geheim. „Wir haben Secret entwickelt, damit Menschen wieder ehrlich zu sich selbst sein können“, schreiben die Macher Chrys Bader und David Byttow, die zuvor bei Google, Square oder Medium tätig waren. Wie auch bei Whisper sind Venture-Kapitalisten schnell hellhörig geworden: 1,3 Millionen US-Dollar investierten große Namen wie Kleiner Perkins und Google Ventures in Secret.
Geheimnisse als Business
Doch wie anonym sind diese beiden neuen Apps wirklich? Soll man ihnen tatsächlich seine dunkelsten Geheimnisse anvertrauen? Bei Whisper etwa wird sehr wohl die IP-Adresse der Nutzer mitgespeichert, wie Forbes schreibt: Diese wird etwa dafür verwendet, um Trolle sperren zu können, kann aber im Falle des Falles auch an Behörden weiter gegeben werden. Außerdem läuft die Kommunikation von Whisper über die Server von TigerText, weil deren Programmierschnittstelle (API) genutzt wird. Und schließlich arbeitet seit kurzem auch der Blogger Neetzan Zimmerman für die App. Seine Aufgabe ist es, die Posts der Nutzer möglichst viral über Facebook, Twitter und Konsorten im Social Web zu streuen. Immerhin soll mit der App einmal Geld verdient werden, und dann werden zudem Werbe-Netzwerke ins Spiel kommen, die ebenfalls an Nutzerdaten kommen werden wollen. Bei Secret, wo man sich per E-Mail-Adresse anmeldet, sieht es ähnlich aus. Zwar betonen die Macher in einem Blog-Eintrag den technischen Aufwand, den sie zur Anonymisierung der Nutzer betreiben, doch in den Nutzungsbedingungen liest man Gegenteiliges: Die App liest etwa die UDID-Nummer oder die GPS-Position des Smartphones mit, außerdem werde Tracking-Pixel verwendet, um das Nutzungsverhalten zu analysieren.
Wer also seine Geheimnisse den beiden Apps flüstert, sollte nicht von 100-prozentiger Anonymität ausgehen. Gegenüber den anderen Nutzern mag man maskiert bleiben – doch Behörden oder Cyberkriminelle könnten die Identität der User feststellen. Ein großes Problem der Anonymität in diesen Apps ist zudem, dass im Prinzip jeder hineinschreiben kann, was er will – ob die Posts einen wahren Kern haben, wird man nie erfahren. Die Betreiber profitieren in jedem Fall, weil die Postings um Aufmerksamkeit heischen wie nur wenig andere Internet-Angebote – Aufmerksamkeit ist im Netz viel Geld wert. Und außerdem: Definiert sich ein Geheimnis nicht genau dadurch, dass man gegenüber anderen möglichst kein Wort darüber verliert?
“Anonymous Login”? Wie Facebook trotzdem die Apps und Geräte des Users erfasst | Jakob Steinschaden