Die Frage, ob die Pflicht zu Klarnamen irgendwann einmal für freundlichere Töne in Internet-Foren sorgen könnte, kann man spätestens seit vergangenem Donnerstag eindeutig beantworten: nein, kann sie nicht. Auf der Facebook-Seite von Frauenministerin Gabriele Heinisch-Hosek entlud sich ein Shitstorm, der in seinen Ausmaßen seinesgleichen sucht. Unter dem Foto, in dem die Ministerin etwas unschlau den Volksmusik-Rocker Andreas Gabalier zum “lebenslangen Lernen” und zur korrekten Wiedergabe der österreichischen Bundeshymne einlud, machten Herr und Frau Österreicher in fast 18.000 Kommentaren ihrer Wut über Heinisch-Hosek im Besonderen und der Politik im Allgemeinen Luft. “Trampel”, “blöde Fotze”, “Witzfigur”, “unnötigste Politikerin”, “oide frustrierte Krauthex” oder “peinliche Tante” wurde die Ministerin, mehrheitlich unter Klarnamen, beschimpft. Grundtenor: Die Politik solle sich doch bitte “wichtigeren Themen widmen” als mit “unseren Steuergeldern” unser schönes altes “Nationalgut Bundeshymne” per Genderisierung zu “verhunzen”.
Die Beschimpfungen waren teilweise so ausfallend, dass drei Mitarbeiter der Ministerin länger damit beschäftigt waren, die schlimmsten Wortmeldungen der Facebook-Nutzer zu löschen, und wer weiß, welche Screenshots später noch einmal zu einer Klage führen werden.
Vom Stammtisch in die Internet-Öffentlichkeit
Nun wird einerseits die Bundeshymnen-Debatte weitergeführt, und andererseits die Frage gestellt, warum sich so viel Hass im Netz entladen kann. Eine Erklärung, die auch Ingrid Brodnig in ihrem Buch “Der unsichtbare Mensch” beschreibt, ist der Online-Enthemmungseffekt: Mobber fühlen sich im virtuellen Raum unbeobachtet, und die fehlende physische Präsenz des Beschimpften lässt die Empathiefähigkeit sinken oder ganz verschwinden.
Dass Menschen ohne Zögern unter Klarnamen strafbare Beschimpfungen an eine Ministerin richten, hat aber auch mit einem mangelnden Verständnis großer Teile der Bevölkerung mit Facebook und Internet-Öffentlichkeit zu tun. Das Foto, unter das die Beschimpfungen im Moment des Zorns geschrieben wurden, wird mehrheitlich in den Newsfeeds der Nutzer aufgetaucht sein, weil ein Facebook-Freund es geteilt, geliked oder kommentiert hat – kaum einer wird Heinisch-Hoseks Facebook-Seite direkt angesurft haben, um dort das betreffende Posting anzuklicken. Der Effekt: Viele Hass-Poster wähnten sich im virtuellen Freundeskreis und wussten wohl nicht, dass ein Kommentar unter dem Foto auf einer Facebook-Seite öffentlich ist, und zwar für jeden, der diese Seite ansieht, ob eingeloggt oder nicht.
Facebook-Nutzer unterschätzen ihre Reichweite
Wer sich schon einmal im nächsten Wirtshaus an den Stammtisch gesetzt und eine halbe Stunde den biergeschwängerten Gesprächen gelauscht hat, dem wird der Hass auf “die Politiker da oben” nicht verborgen geblieben sein – er ist alltäglich. Politiker und auch viele andere Worte werden dort mit Schimpfworten bedacht, die sich jeder ausmalen kann und hier nicht wiederholt werden müssen. Was das Internet und insbesondere Facebook nun macht: Es spült die privaten (oder manchmal auch halböffentlichen) Offline-Beschimpfungen in die Internet-Öffentlichkeit, der Facebook den Anschein eines digitalen Freundeskreises mit im Schnitt 383 Freunden gibt. Eine Studie der Universität Stanford etwa zeigt, dass Facebook-Nutzer ihr Publikum dramatisch unterschätzen und dieses im Schnitt auf nur 27 Prozent ihrer wirklichen Reichweite schätzen – von Postings auf öffentlichen Facebook-Seiten ganz zu schweigen.
Und damit steht man vor zwei großen Problemen: Zum einen gibt es seit langem einen oft tief verwurzelten Hass auf Politiker/Minderheiten/Migranten/Frauen etc., und zum anderen eine relativ neue Internet-Öffentlichkeit mit einer für den Einzelnen (etwa im Vergleich zum Stammtisch) enorm gestiegenen Reichweite. Für das erste Problem gibt es nicht die eine Lösung, für das zweite aber vielleicht schon: Egal, wie man über andere Menschen denkt, Internetnutzer müssen lernen, wie sie mit der neuen Online-Öffentlichkeit umzugehen haben. Das ist langfristig nur schaffbar, wenn Internet-Öffentlichkeit (ob bei Facebook, Twitter, Instagram oder in Internet-Foren) und der Umgang damit Teil des Schulunterrichts wird. Aus eigener Erfahrung (Vorträge und Workshops an Schulen) weiß ich, dass Lehrer und Eltern am liebsten eine Liste hätten, die die “richtigen Privatsphäreeinstellungen für Facebook” beinhaltet.
Lerne wie ein Journalist zu denken
Diese Liste gibt es aber nicht. Stattdessen muss sich endlich die Erkenntnis durchsetzen, dass “Social Media” nicht nur “Social” (=Freunde, Bekannte), sondern eben auch “Media” (=Reichweite) ist. Und da hilft aus meiner Sicht nur eines: Wer Social Media nutzt und zum Ich-Sender wird, muss wie ein Journalist denken lernen.