“Das kann knapp werden – also ich tippe #GERBRA 2:1” – “Unfassbar. 5:0 in der ersten Halbzeit.” – “Das wird heute noch spannend in Belo Horizonte!” Diese Statusmeldungen habe ich nicht etwa gestern Abend während dem bereits legendären Match Brasilien – Deutschland (1:7, FYI) gelesen, sondern heute morgen – auf Facebook. Statusmeldungen also, die viele Stunden alt sind, von den Ereignissen des gestrigen Abends überholt wurden, keine Relevanz mehr haben – und mir trotzdem als aktuelle Postings im News Feed angezeigt werden. Auch andere Nutzer beklagen immer wieder, dass sie veraltete Meldungen bei Facebook zu sehen bekommen, etwa von Events vom Vortag oder Einladungen zu bereits stattgefundenen Veranstaltungen. Daran sind nicht die Absender schuld, sondern der Algorithmus, der bestimmt, welche Updates wir zu sehen bekommen und welche nicht.
Veraltetes wird nach oben geholt
Im August 2013 hat Facebook das so genannte “Story Bumping” eingeführt – eine Mechanik, die alte Postings mit vielen Likes und Kommentaren (z.B. jene, die Facebook-Freunde gestern Abend während dem Match veröffentlichten) wieder nach oben spült. “Now organic stories that people did not scroll down far enough to see can reappear near the top of News Feed if the stories are still getting lots of likes and comments”, heißt es seitens Facebook.
Facebook behauptet, dass die Nutzer diese Funktion mögen. Bei Tests hätte man fünf bis acht Prozent mehr Likes, Kommentare und Shares verzeichnet, wenn alte Postings nach oben geholt werden. Außerdem hätten User früher nur 57 Prozent aller Updates im News Feed gelesen, dank “Story Bumping” würden sie jetzt 70 Prozent sehen.
Gegen Twitter sieht Facebook alt aus
Am Nutzen für die User kann man aber zweifeln – wer braucht schon veraltete Meldungen von gestern? Gegen Twitter, wo der Echtzeit-Stream nicht vorgefiltert wird und man auch wirklich bekommt, was man abonniert hat (“Follow”), wirkt Facebook sprichwörtlich alt. Außerdem verdeutlicht das “Story Bumping” die grundlegende Problematik des News Feed: Facebook definiert nach halb geheimen Regeln, welche News wir zu sehen bekommen und welche nicht. Zudem schreckt die Firma auch nicht vor Experimenten zurück, in denen die Gefühle der User manipuliert werden, indem gehäuft negative Meldungen angezeigt werden.
News Feed prägt Nachrichtenkonsum
Die Hoheit von Facebook über den News Feed ist auch deswegen problematisch, weil er für immer mehr Menschen eine wichtige Quelle für Nachrichten ist und teilweise TV und Zeitung ersetzt. Laut Forsa-Umfrage im Auftrag des IT-Branchenverbands Bitkom informieren sich 63 Prozent der 16- bis 18-jährigen Deutschen über soziale Netzwerke wie Facebook, Google+ oder Twitter. Das Internet insgesamt ist für Jugendliche das wichtigste Nachrichtenmedium vor TV, Radio und Print. In den USA ist die Sache laut Pew Research Center bereits so weit gediehen, dass 30 Prozent der Erwachsenen Facebook als News-Quelle benutzen.
Facebook experimentiert mit unseren News
Facebook hat eine zentrale Rolle im Nachrichtenkonsum vieler Menschen auf der ganzen Welt eingenommen und damit eine große Verantwortung. Dass man diese Verantwortung ernst nimmt, muss man wegen Dingen wie “Story Bumping” oder dem kontroversen Psycho-Experiment, gegen das bereits Sturm gelaufen wird, anzweifeln.