Das Tech-Hipster-Festival SXSW in Austin, Texas, kann ohne einen Hype um eine neue App nicht sein. Waren es in den vergangenen Jahren Twitter (2007), Foursquare (2009), SCVNGR (2011), Highlight (2012), Tinder (2013) oder Secret und Whisper (2014), dürfte es dieses Jahr die Live-Streaming-App Meerkat sein, über die “alle” reden. Vom nächsten großen Ding ist Meerkat aber noch weit entfernt.
Meerkat, gegründet von Entwickler Ben Rubin und eigentlich nur ein Abfallprodukt der Haupt-App Air (wiederum der Nachfolger der gescheiterten App Yevvo), hat in kurzer Zeit mehr als 400.000 Nutzer gesammelt. Der besondere Schmäh, der den Dienst von vielen anderen, ähnlichen Apps unterscheidet: Die Livevideo-App baut stark auf Twitter auf und lässt den User seinen Stream schnell an seine Follower schicken. Als Videomacher sieht man dann in Echtzeit, welche Twitter-Nutzer zusehen und welche Tweets sie über den Livestream veröffentlichen. Per Twitter-Login ist es möglich, schnell zu einer Community zu finden, die aus Twitter-Kontakten besteht, die ebenfalls Meerkat verwenden – zumindest ging das bis vor kurzem.
Twitter kontert hart
Erste Meerkat-User nutzten die App bereits, um von Apples Watch-Präsentation zu berichten, und Gründer Ben Rubins Vision ist es, dass einmal jeder – vom Bürgerjournalisten bis zum gelangweilten Teenager – seine spannendsten Momente “live” ins Internet überträgt. Allerdings hat ihm da Twitter, also jene Plattform, auf der Meerkat aufbaut, einen Strich durch die Rechnung gemacht. Für kolportierte 100 Millionen US-Dollar hat der Kurznachrichten-Dienst still und heimlich den Live-Videostreaming-Dienst Periscope aufgekauft. Das konnte Rubin nicht wissen, wird aber nun zum Problem für ihn: Denn Apps, die auf Twitters Plattform aufbauen und den “Social Graph” (wer folgt wem?) auslesen, dürfen zentrale Twitter-Funktionen nicht duplizieren. Und weil Periscope nun Twitter gehört und wahrscheinlich als native Funktion bei sich einbaut, wurde Meerkat kurzerhand der Zugriff auf den Social Graph eingeschränkt. Meerkat kann so nicht mehr Funktionen wie Auto-Follow anbieten, die schnelles Wachstum ermöglichen, weil Nutzer nun händisch Kontakte hinzufügen müssen.
Ob das ein Hindernis für Meerkat ist, weiter zu wachsen, wird sich weisen. Dem kleinen Entwickler-Team bleiben einige Optionen, um die Broadcaster und ihr Publikum zu vernetzen – etwa über das Auslesen von Telefonnummern oder über die Integration von Facebook. Spannender ist die Frage, ob Meerkat nur ein kurzer Hype oder ein langlebigerer Trend ist. Live-Videostreaming gibt es seit vielen Jahren, hat sich aber noch nicht so wirklich durchgesetzt. In Deutschland hat zuletzt YouNow, wo vorwiegend Jugendliche live aus ihren Kinderzimmern streamen, für Furore und Kritik gesorgt, und auch bei Snapchat geht es immer stärker um Video. Wie sich Live-Streaming monetarisieren lässt, ist noch offen. Werbung ist aus Sicht von Marketern problematisch, weil diese immer ganz gerne vorher wissen, in welchem Content-Umfeld sie ihre Ads platzieren – bei Live-Video ist das selten vorhersagbar.
Video-Brillen als Zukunftsvision
Technologisch könnte Live-Videostreaming vor allem im Zusammenspiel mit Virtual-Reality-Brillen spannend werden. Stell` dir vor, du kannst dich mittels VR-Brille mitten ins Geschehen versetzen, wenn jemand in Echtzeit von Weltereignissen (z.B. Tahir-Platz, Ferguson, Oscar-Verleihung, Past-Wahl) streamt und du seinen Blickwinkel einnehmen kannst. Bis dahin ist es aber noch ein weiter Weg, und nicht Meerkat sitzt bei diesen Themen am Drücker, sondern Facebook (Besitzer von Oculus Rift), Google und Microsoft. Und die Konsumenten haben auch ein Wörtchen mitzureden. Derzeit sieht es eher danach aus, als würden viele lieber auf ihre Gesundheitswerte am Smartwatch-Display starren wollen als mittels Daten-Brille einer Live-Übertragung zu folgen.