„Mubarak kontert die Facebook-Revolution“, war am Freitag über die Internet-Sperre in Ägypten auf Stern.de zu lesen. Dass die Massenerhebung in der von hunderttausenden Österreichern lieb gewonnenen Reisedestination „made by social media“ wäre, ist eine nahe liegende Idee. Immerhin gibt es für den Auslöser der neuerlichen Proteste eine eigene Facebook-Seite: Dem 28-jährigen Khaled Said, der von Polizisten totgeprügelt wurde, ist die Gruppe „We are all Khaled Said“ gewidmet, zu der sich immerhin 30.400 Nutzer bekennen. Schon im Iran 2009 gab es angeblich schon eine Twitter-Revolution (die ein Guardian-Artikel widerlegte), in Tunesien vor zwei Wochen hackte sich die nationale Internet-Agentur in die Facebook-Accounts von Aktivisten (mein Artikel dazu auf der Futurezone), um sie mundtot zu machen.
Seit in Ägypten protestiert und revoltiert wird – als Startdatum gilt der 25. Jänner, was sich bei Twitter als Hashtag #jan25 manifestiert hat -, gibt es auch Berichte über Sperren einzelner Web-Dienste. Facebook wird in dem nordafrikanischen Staat ohnehin seit Jahren von Behörden überwacht, am 26. Jänner gab es erste Anzeichen, dass das Online-Netzwerk und der Kurznachrichten-Dienst Twitter für einige ägyptische Nutzer nicht erreichbar waren. Auch Googles eMail-Dienst Gmail wurde kurz darauf offensichtlich blockiert. Weil von Tag zu Tag mehr Menschen in Alexandria, Kairo und Suez auf die Straße gingen, fürchtete Mubaraks Regime wohl einen Überschwapp-Effekt auf andere Bevölkerungsteile. Außerdem hatten sich die jungen, wohl sehr internet-affinen Aktivisten über diese Web-Dienste zu den Demonstrationen verabredet.
Handy und Religion mächtiger als Facebook
Die Sperren der Online-Netzwerke hemmten die Proteste aber nicht, im Gegenteil: Jeden Tag gingen mehr Menschen auf die Straßen, in verschiedensten Berichten sind von Hunderttausenden, Samstag früh sogar von Millionen die Rede. Den weit größeren Respekt als vor einer „Facebook-Revolution“ hatte die Regierung vor dem Internet insgesamt, was in der umfassenden Netzsperre resultierte und folgende Zahlen zeigen: Dem Analyse-Dienst CheckFacebook.com zufolge gibt es in Ägypten (83 Mio. Einwohner) etwa 5,1 Millionen registrierte Facebook-Mitglieder, davon rund ein Drittel männlich. Insgesamt online sind dem Statistik-Dienst InternetWorldStats.com 17 Millionen bzw. 21,2 Prozent der Ägypter.
Noch gefährlicher erachtete Mubarak aber wohl die Mobiltelefonie: Mehr als 60 Millionen Einwohner haben ein Handy. Kaum überraschend folgte auf die Internet-Blockade eine Sperre des Mobilfunks, die am Samstag wieder aufgehoben wurde. Doch weder die Lahmlegung des Zugangs zum Internet im Allgemeinen noch zu Facebook und Twitter im Besonderen konnte die Massen davon abhalten, gegen Staatsoberhaupt und Polizei zu demonstrieren. Denn neben der technologischen Verbreitung der Protest-Botschaft haben mächtigere Instanzen in die die Mobilisierung der Menschen eingegriffen: die Moscheen: „Das Volk will den Sturz des Regimes“, brüllte ein Gläubiger während des Mittagsgebets in der Mustafa-Mahmud-Moschee in Stadtkreis Mohandissin in Kairo, wie der Standard in seiner Samstagsausgabe beschrieb. Diese Losung soll sich anschließend wie ein Lauffeuer unter den anderen Gläubigen verbreitet haben – auch unter Menschen, die normalerweise nicht in die Moschee gehen. Die „Muslim Brotherhood“ soll ebenfalls eine wesentliche Rolle bei dem Aufstand gespielt haben.
Große Blockade mit kleinen Löchern
Ägypten ist jetzt seit mehr als 35 Stunden vom Internet abgeschnitten, was in der Geschichte „beispiellos“ sei, wie es seitens der Security-Firma Renesys heißt. Eine Grafik der Security-Firma Arbor Network zeigt, wie der Internet-Verkehr in Ägypten von einer Minute auf die nächste dramatisch abriss. Zuvor war das Datenvolumen ungewöhnlich hoch um viele Gigabit über dem Durchschnitt gelegen, nach Donnerstag 17:20 EST sank die Datenmenge auf einige Megabit pro Sekunde. Dem Internet-Blackout waren offenbar einige Telefonate der Regierung an im Land operierende Internet-Provider vorangegangen, die angehalten wurden, die Leitungen zu kappen.
Auch Handy-Netze wurden von den Betreibern abgedreht. „Der ägyptischen Gesetzgebung nach haben die Behörden das Recht, eine solche Anweisung zu geben und wir sind verpflichtet, die Weisung zu befolgen“, heißt es in einer Stellungnahme von Vodafone Egypt. Das Mobilfunknetz ist wieder aktiviert worden, bis dato gibt es aber keine Berichte, dass die Netzsperren gelockert oder aufgehoben sind. Allerdings haben technisch versierte Nutzer Wege gefunden, Nachrichten und Videos trotzdem ins Netz zu stellen – immerhin gibt es auf etwa Twitter, YouTube und Flickr regelmäßig neues Bildmaterial (etwa von Al Jazeera) und neue Meldungen von den Straßenkämpfen. So soll etwa der kleine Internet-Provider Noor Data Networks weiter seine Dienste anbieten können.
Dass die Internet-Sperre länger als bis Sonntag aufrecht erhalten wird, ist unwahrscheinlich. Am Montag müssen Banken und viele andere Unternehmen wieder ihre Arbeit aufnehmen, was ohne Netz kaum möglich ist – somit könnte Ägypten durch die Web-Blockade enormer ökonomischer Schaden drohen.
Social Media überbewertet
Für die Betreiber der Online-Plattformen ist die vermeintliche „Social-Media-Revolution“ indes gute Werbung. Twitter-Mitgründer Biz Stone schaltete sich mit einem Blog-Eintrag ein, in dem er – natürlich – für den freien Fluss von Information plädierte: „Einige Tweets können eine positive Veränderung in einem unterdrückten Land erleichtern […]. Wir sind nicht immer damit einverstanden, was die Leute twittern, aber wir lassen die Information unabhängig von unseren Ansichten über ihren Inhalt fließen.“ Anders als er hat Facebook aktiv für Protestanten in Tunesien Partei ergriffen: Einem Bericht des Atlantic zufolge hat Facebook tunesischen Nutzer geholfen, indem sie ihre Anfragen auf verschlüsselte Server umgeleitet haben und sie nach dem Login spezielle Fragen zur Identifikation gestellt, um die echten Besitzer der Accounts zu identifizieren. Für Ägypten ist noch nichts unternommen worden.
So wird man das Gefühl nicht los, dass die Rolle von Facebook bei den ägyptischen Aufständen überbewertet wird. Sehr wahrscheinlich sind nur wenige Prozent der Demonstranten via Facebook mobilisiert worden, weit mehr werden via Mobiltelefon, von anderen Bürgern oder einfach vom Lärm auf der Straße hinaus gelockt worden sein. Eine große Hilfe wäre Facebook wohl ohnehin nicht: Das Online-Netzwerk ist zwar für Mob-Effekte berühmt – eine Gruppe Menschen kann schnell an einem Treffpunkt versammelt werden -, ein geordnetes Vorgehen mit organisierten Forderungen ist via Facebook aber kaum denkbar. So schreibt auch Werner Reiter, ehemaliger Pressesprecher von A1 Telekom Austria, in seinem Blog Werquer: „Ich fürchte nur, Social Media funktionieren als Werkzeug für Opposition und Dagegen-Sein deutlich besser denn als Instrument für politische Entscheidungsfindung. Bis mit Social Media tatsächlich nachhaltig Politik gemacht wird, ist es noch ein weiter Weg.“
Dass die neuen Social-Web-Dienste vielleicht auch gar nicht so sinnvoll sind, sie zur Organisation von Demonstrationen und Widerstand zu nutzen, zeigt indes auch die Demo gegen den Ball des Wiener Korporationsrings (WKR) Freitag Abend in Wien. Eine der häufigsten Botschaften war, die nächsten Treffpunkte nicht zu twittern – offensichtlich hatte die Polizei einfach mitgelesen.