Die Netzneutralität welkt dahin: Zwei-Klassen-Internet gefährdet europäische Start-ups

Alle Daten gleich? Die einst quicklebendige Netzneutralität welkt in der EU und den USA dahin. © Jakob Steinschaden

Alle Daten gleich? Die einst quicklebendige Netzneutralität welkt in der EU und den USA dahin. © Jakob Steinschaden

Ein sperriger Begriff, aber ein wichtiger: Die Netzneutralität besagt bisher, dass alle Daten im Internet gleich behandelt werden. Das E-Mail eines Millionärs ist genauso schnell oder langsam unterwegs wie das E-Mail eines Busfahrers, und wenn YouTube langsam ist, dann ist eben auch Vimeo langsam. Doch wenn die Neuregelung des EU-Kommunikationsmarktes per Verordnung so gestaltet wird, wie es diese Woche der federführende Industrieausschuss ITRE des EU-Parlaments beschlossen hat, dann könnte es bald vorbei sein mit dieser Gleichbehandlung – und Firmen wie Google, Facebook, Evernote und Spotify können sich Vorrang vor kleineren europäischen Rivalen erkaufen.

Aus Sicht des ITRE-Ausschusses, der diese Woche tagte, hat man die Netzneutralität gestärkt, weil es strengere Regeln bezüglich Netzsperren geben soll. So sollen etwa Mobilfunker künftig nicht mehr Konkurrenten wie Skype (Telefonie-Rivale) oder WhatsApp (SMS-Rivale) aus ihren Netzen verbannen können, was in der Vergangenheit schon vorkam. Der Haken an der Sache ist aber, dass Unternehmen die Möglichkeit haben sollen, zahlenden Partnern “Specialised Services” von höherer Qualität etwa für Video-on-Demand-Dienste oder “business-critical data-intensive cloud applications” anbieten zu können, so lange diese nicht die Internetgeschwindigkeit der anderen Kunden beeinträchtigen.

“To meet end-users‘ demand for better service quality, content providers may agree deals with internet providers to assure a certain quality of service („specialised services“). Such offers will enable telecom operators to generate additional revenue streams from OTT actors, content providers as well as from consumers, who are willing to pay for better or faster services. These revenues, in turn, will enable operators to finance investments into network upgrades and expansion.” – Vorschlag der EU-Kommission, 11. September 2013

Zustimmung von rechts, Ablehnung von links
An der Erlaubnis für diese “Specialised Services” (im Zuge der Drosselkom-Affäre auch “Managed Services” genannt) stoßen sich nun die Gegner der Konservativen und Liberalen. “Mit einer Überholspur für Internet-Giganten und Mehrzahler können die Nutzer nur verlieren. Streaming und Internet-Telefonie dürfen nicht den Partikularinteressen der Telekommunikationsanbieter geopfert werden“, kritisiert etwa der österreichische EU-Parlamentarier Josef Weidenholzer (SP). “Diese Entscheidung wird dazu führen, dass große Konzerne deutlich bessere Chancen haben als  kleine und mittelständische Anbieter, sich eine Überholspur auf im Internet zu kaufen und sich mit ihren Online-Angeboten auf dem Markt durchzusetzen”, sagt der deutsche EU-Parlamentarier Reinhard Bütikofer (Grüne).

Netzneutralität begünstigte etwa WhatsApp
Und genau an dieser Stelle sollten die Alarmglocken bei Start-ups läuten. Wenn sich große Unternehmen mit entsprechender Kriegskasse die Überholspur leisten können, wie soll sich da eine Neugründung mit ihrem Internet-Dienst durchsetzen können? In einem Internet, in dem aus Convenience-Gründen Sekunden darüber entscheiden, ob ein Service für gut befunden wird oder nicht?

Sehen wir uns den Fall am Beispiel WhatsApp an: 2009 gegründet, konnte sich der Messaging-Dienst in nur fünf Jahren von 0 zu 450 Millionen Nutzern aufschwingen, und das mit einem Team von 32 Ingenieuren. Pro Tag verschicken diese User etwa 600 Millionen Fotos, das entspricht einer ganz grob gerechnet einer Datenmenge von etwa 55,9 Terabyte (1 Foto = 100 Kilobyte => 60.000.000.000 Kilobyte), und da sind Texte, Videos, Gruppen-Chats etc. noch gar nicht einberechnet.

WhatsApp-Gründer Jan Koum sollte die Netzneutralität eigentlich lieben. © Jakob Steinschaden

WhatsApp-Gründer Jan Koum sollte die Netzneutralität eigentlich lieben. © Jakob Steinschaden

Als so genannter “Over The Top”-Player betreibt WhatsApp keine eigene Infrastruktur, hat also weder Glasfaserkabel im Boden verlegt noch Sendemasten am Land aufgestellt. Dank Netzneutralität kann sich WhatsApp aber trotzdem darauf verlassen, dass Terabytes an Daten pro Tag so schnell wie möglich (“Best Effort”-Prinzip) und ohne Aufpreis am Display seiner Nutzer landen und diese mit dem Service zufrieden sind. Nun, da WhatsApp ganz oben angekommen ist (Gründer Jan Koum sitzt nach der 19-Mrd.-Dollar-Übernahme im Aufsichtsrat von Facebook), könnte die Abschaffung der Netzneutralität die Position von WhatsApp weiter festigen. Gemeinsam mit dem deutschen Mobilfunker E-Plus (der bald mit der Telefonica-Tochter O2 fusionieren soll) ist ein eigener WhatsApp-Tarif geplant, bei dem unlimitierte Nutzung des Messaging-Dienstes in Aussicht steht. Wenn das Datenlimit des Tarifs erreicht ist, funktioniert WhatsApp weiter, das restliche Internet (also z.B. WhatsApp-Konkurrenten) aber nicht mehr.

US-Riesen: Deals mit Internet-Providern
Ähnliche Deals haben Facebook und Google in Entwicklungs- oder Schwellenländern, wo ihre Dienste kostenlos und unbegrenzt nutzbar sind, andere Dienste aber nicht. Weitere Internet-Firmen, die Kooperationen mit Internet-Providern geschlossen haben, sind der Notiz-Dienst Evernote (mit der Deutschen Telekom) und der Musik-Streaming-Service Spotify (Deutsche Telekom). Diese können sich solche Deals dank ihrer Millionen-Investments und Werbemilliarden leisten. Was aber, wenn ein kleines europäisches Start-up es besser als WhatsApp, Evernote, Facebook oder Spotify machen möchte? Es wird sich eine Kooperation mit einem Mobilfunker oder einem Internet-Provider kaum leisten können, um genauso schnell und unlimitiert für den User zu funktionieren.
Die EU-Kommission meint, dass es jeder Firma freistünde, sich im Wettbewerb um Kunden einen Vorteil (z.B. bessere Übertragungsqualität) zu erkaufen – in der Praxis leisten werden sich das aber eher die US-Firmen können. Das Absägen der Netzneutralität auf europäischer Ebene ist auch insofern absurd, weil doch gerade die Europäer in technologischer Hinsicht zu den USA aufholen wollen. Anstatt eigene Innovatoren zu begünstigen, bremst man sie aus und gibt den bereits etablierten Internet-Riesen ein Mittel, ihre Position am Markt zu festigen.

Und die Kunden? Nun, für diese könnten die Dienste wiederum teurer werden, weil diese für die Überholspur zusätzliche Ausgaben haben. Netflix-CEO Reed Hastings etwa ist gar nicht begeistert vom Ende der Netzneutralität – kürzlich musste der Streaming-Dienst an Comcast, den größten Internet-Provider der USA, viel Geld dafür bezahlen, damit die Nutzer die On-Demand-Videos wieder in guter Qualtität zu sehen bekommen – zuvor wurde Netflix gedrosselt. Hastings: “When an ISP sells a consumer a 10 or 50 megabits-per-second Internet package, the consumer should get that rate, no matter where the data is coming from.”

SaveTheInternet.eu: Verzweifelter Kampf
Was können Start-ups also noch tun? Der Zug scheint bereits abgefahren, Anfang April wird im EU-Parlament über die Zukunft der Netzneutralität in Europa abgestimmt. Die Online-Kampagne SaveTheInternet.eu kämpft bis dahin gegen ein drohendes Zwei-Klassen-Internet und macht es Internetnutzern so einfach wie möglich, EU-Parlamentarier per Telefon, Fax oder E-Mail zu kontaktieren und sie davor zu warnen, für “Specialised Services” zu stimmen.

 

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