Schon mehrere Male wurde ein Facebook-Exodus heraufbeschworen, schon öfter war von einer Facebook-Fatigue zu lesen. Gemein ist diesen Spekulationen über eine Ende des Wachstums des Online-Netzwerks, dass sie nicht eingetreten sind. Meist basierten solche Annahmen auf zeitweiligen Aussteiger-Wellen, die aber insgesamt zu klein waren, um dem Aufwärtstrend eine Delle verpassen zu können. Insofern lehne ich mich mit diesem Blog-Beitrag ebenfalls weit aus dem Fenster, wenn ich von einer Facebook-Stagnation schreibe, aber sei`s drum. Lassen Sie mich auseinandersetzen, warum ich glaube, dass Facebook seinen Aufstieg nicht weiter fortsetzen wie bisher:
1. Weniger Wachstumsmärkte: Damit Facebook seinen Kurs in Sachen Zuwachszahlen halten kann, müssten sie noch im Dezember 600 Millionen Mitglieder ankündigen. Das wird aber zunehmend schwerer, denn zentrale Märkte wie die USA, Kanada, Großbritannien, aber auch Länder wie Indonesien oder Kolumbien sind mit grob 50 Prozent Nutzeranteil schon ziemlich gesättigt. Ich glaube nicht, dass es einmal Staaten mit 60, 70 Prozent Facebook-Nutzer geben wird. Außerdem konnten die harten Nüsse – Russland, China, Brasilien – noch nicht geknackt werden siehe auch World Map Of Social Networks). Vor allem im Fernen Osten wird das nicht zu schaffen sein, auch Google ist an China und dessen Zensurpolitik gescheitert.
2. Vorsichtigere Nutzer: Der unlängst veröffentlichten deutschen JIM-Studie (Jugend, Information, Multimedia) zufolge waren junge Nutzer (12 bis 19 Jahre) in diesem Jahr erstmals vorsichtiger bei der Veröffentlichung von persönlichen Informationen in Onlne-Netzwerken als im Vorjahr. „Nur“ mehr 76 Prozent geben ihre Hobbys an (2009: 83 Prozent), 64 Prozent laden eigenen Content hoch (2009: 69 Prozent), und nur mehr 41 Prozent (2009: 51 Prozent) veröffentlichen Fotos oder Videos von Freunden oder Familie. Zudem werden die Privatsphäre-Einstellungen laut Studie viel intensiver genutzt, d.h. weniger Leute als im Vorjahr haben Zugriff auf die Profile. Daraus könnte ein für Facebook gefährlicher Umkehrschub entstehen: Denn wenn weniger Inhalte für weniger Personen zugänglich ist, schrumpft die Nutzungszeit genauso wie die Dichte der Interaktion. Folglich kann weniger Werbung geschalten werden, weil nicht mehr so viele Daten als Targeting-Basis vorhanden sind.
3. Investor verkauft Anteile: Einem Techcrunch-Artikel zufolge hat der frühe Investor Accel Partners (Accel-Chef Jim Breyer sitzt im Vorstand von Facebook) „signifikante Anteile“ an Zuckerbergs Firma weiterverkauft. Die Rede ist von 20 Prozent, womit die einst 10 Prozent Anteil auf etwa acht Prozent geschrumpft sind. Die Anteile wurden angeblich auf Basis einer 35- bis 40-Milliarden-Dollar-Bewertung des Online-Netzwerkes gehandelt. Die Kernfrage aber lautet: Warum verkauft ein Investor, der fast von Anfang an mit an Bord ist, eine beträchtliche Zahl an Anteilen? Möglicherweise nimmt Accel an, dass es mit dem Wachstum von Facebook nicht mehr lange so wie bisher weiter geht und will jetzt, solange die Bewertung der Firma extrem hoch ist, Kasse machen.
4. Experte warnt vor Blase 2.0: Der hoch angesehene US-Risikokapitalgeber Fred Wilson (Newsweek-Artikel) von Union Square Ventures (Twitter, Foursquare, Zynga) warnte kürzlich vor einem „Gewitterwolken am Horizont“. Er sprach damit, ohne den Namen in den Mund zu nehmen, die sehr hohen Bewertungen von Facebook (bis zu 50 Milliarden Dollar soll die Firma wert sein) an und meinte, an 1999 (dem Platzen der Dotcom-Blase) erinnert zu werden. „Wenn mich Popstars in Deals auftauchen und sich mit mir treffen wollen, weiß ich, dass wir bald gegen die Wand fahren“, so Wilson Zyniker. Meinte er damit etwa auch U2-Sänger Bono Vox, der sich 2009 via Elevation Partners bei Facebook eingekauft hat?
5. Drei schwache Präsentationen: Die letzten drei neuen Produkte, die Mark Zuckerberg der Öffentlichkeit vorstellte, waren alles andere als Geniestreiche. Anstatt ein eigenes Handy oder Betriebssystem zu zeigen, startete Facebook nur neue Programmierschnittstellen (mehr darüber hier), damit andere Entwickler Facebook-Funktionen (Login, Ortung, Gutscheine) in ihre Handy-Apps (iPhone und Android) einbauen können. Bisher gab es kaum Meldungen, dass das auch gemacht wurde. Zudem wurden immer noch keine Nutzerzahlen zum Ortungs-Dienst „Places“ abgefeiert, möglicherweise ein Indiz, dass die Nutzer die Funktion links liegen lassen. Mit der eMail-Anbindung @facebook.com (mein Blog-Eintrag dazu hier) erzeugte Zuckerberg den verhältnismäßig größten Wirbel, wurde aber sofort von Experten mit Klagen über große Sicherheitslücken zugedeckt. Die neuen Profil-Seiten (eine Zusammenfassung lesen Sie hier) waren der wohl größte Flop: Die insgesamt rudimentären Änderungen wurden zu einem Medien-Event in der Interview-Sendung „60 Minutes“ auf CBS aufgeblasen, der dem Inhalt nicht gerecht wurde.
Soweit meine Beobachtungen der letzten Wochen. Ob Facebook einer Stagnation entgegen segelt, ist damit natürlich nicht bewiesen, eine Häufung verdächtiger Hinweise aber durchaus zu sehen. Georg Holzer hat mich außerdem darauf aufmerksam gemacht, dass es schon im Oktober erste Anzeichen eines Nutzerschwunds gab, siehe hier.