In Mitteleuropa wogt der Kampf um den Leistungsschutz. Bis zu elf Prozent – so viel von den Millionenumsätzen will die VG Media, die Verwertungsgesellschaft der privaten Medienunternehmen, von Google und anderen Internetunternehmen wie Yahoo, Microsoft oder 1&1 (Web.de, GMX) in Deutschland per Klage erzwingen. Grund: Google und Co. sollen die Online-Inhalte der deutschen Verlage nicht gratis in ihren Web-Diensten anzeigen dürfen, sondern sollen dafür zahlen. Hinter der VG Media stecken zwölf der größten deutschen Verlage wie Axel Springer (bild.de, welt.de), Burda, Funke (u.a. derwesten.de) oder M. DuMont Schauberg (u.a. www.rundschau-online.de, www.berliner-kurier.de).
Die Klage ist der VG Media zufolge notwendig, weil Google sich trotz dem 2013 verabschiedeten Leistungsschutzrecht weigert, für Verlagsinhalte zu zahlen. Stattdessen hat sich die Suchmaschine trickreich eine Zustimmung der Verlage für die kostenlose Nutzung der Inhalte geholt. Während die VG Media nun vor Gericht zieht, wird offenbar weiter politisches Lobbying betrieben – zuletzt stellte der deutsche Justizminister Heiko Maas ein verschärftes Leistungsschutzrecht in Aussicht. In Österreich pocht der VÖZ, der Verband Österreichischer Zeitungen, schon seit langem auf ein ähnliches Leistungsschutzrecht, mit dem die Verlage Google endlich zur Kasse bitten können.
Der Streit um die Snippets
Das sind nun die Fronten: New Media mit Google auf der einen, Old Media mit Axel Springer auf der anderen. Gestritten wird um die Verwendung der Inhalte der Verlage – doch Moment! Um welche Inhalte geht es denn da genau? Im Wesentlichen um so genannte Snippets. Dabei handelt es sich um kleine digitale Kärtchen, auf denen Online-Artikel in Bild, Schlagzeile und Einleitung kurz zusammen gefasst und in den Suchergebnissen von Google sowie in seinem Dienst Google News automatisiert angezeigt werden. Ein Snippet sieht so aus:
Social-Media-Nutzer werden genau jetzt stutzig werden und denken: Moment mal, solche Snippets sehe ich doch jeden Tag auf Facebook und Twitter! Und genau an diesem Punkt wird es spannend: Denn während die Verlage Google und Co. für die automatisierte Verwendung dieser Content-Snippets zur Kasse bitten will, publizieren ihre eigenen Redaktionen (oft mit Hilfe eigener Social-Media-Manager) genau diese Content-Snippets freiwillig und kostenlos bei Facebook und Twitter.
An einem Beispiel von der Axel-Springer-Seite Welt.de sieht man, wie der Verlags-Content bei Google automatisiert dargestellt wird und bei Twitter und Facebook über die Welt.de-Accounts von den eigenen Mitarbeitern aufbereitet wurde:
Verlage versprechen sich von der Verwendung von Social Media, das Interesse der User zu wecken und sie zum Klick auf die Story und anschließendem Besuch auf ihrer Webseite zu überzeugen. Google argumentiert übrigens ähnlich und behauptet, pro Monat weltweit über sechs Milliarden Besuche auf Verlagsseiten zu lenken.
Je jünger, desto mehr Facebook
Woher kommt nun dieser Traffic, der auf den News-Seiten der Verlage eintrifft? In einer Grafik, die Holger Schmidt auf Netzoekonom.de im Mai 2014 veröffentlicht hat, sieht man, dass Suchmaschinen, also in erster Linie Google (rot), viel mehr Zugriffe auf deutsche Nachrichten-Portale schaufelt als Facebook (gelb). Bei Welt.de, um beim obigen Beispiel zu bleiben, sorgen Suchmaschinen für 43,9 Prozent der Zugriffe, Facebook für 4,9 Prozent:
In dieser Grafik sieht man auch, dass Facebook-Traffic umso wichtiger wird, je jünger und internationaler die Nachrichten-Seite ist und wie unwichtig Google-Zugriffe für neuere Online-Medien bereits sind.
Facebook-Reichweite kostet
Nun wird es richtig absurd: Während die Verlage derzeit Google für die automatisierte Verlinkung ihres Content zur Kasse bitten wollen, bittet Facebook die Verlage dafür zur Kasse, dass sie ihre Fans in dem Online-Netzwerk überhaupt mit ihren Snippets erreichen können. Denn über die Jahre ist die kostenlose organische Reichweite von Facebook-Seiten, wie sie Welt.de und tausend andere betreiben, gesunken – von 12 Prozent im Oktober 2013 auf 6,2 Prozent im Februar 2014, wie etwa diese Statista-Infografik zeigt:
Das bedeutet: Wenn ein Online-Medium mit seinen Postings (a.k.a. Snippets) mehr als im Schnitt sechs Prozent seiner Fans (Likes) erreichen möchte, muss es entweder auf virale Effekte hoffen (Shares, Likes) oder für Facebook Ads bezahlen, damit die Reichweite der Postings wieder steigt.
Vom Regen in die Traufe
Zurück in die Vogelperspektive: Während die Verlage, die seit Jahren unter wirtschaftlichem Druck stehen, sich via Leistungsschutzrecht neue Einnahmen von Google und anderen Suchmaschinenbetreibern zu sichern versuchen, schlittern gleichzeitig in die nächste Abhängigkeit – jene von Facebook. Und da sie dort ihren eigenen Content selbst gratis und mit eigenem, teurem Personal verbreiten, werden sie sich aus dieser Abhängigkeit nicht per Leistungsschutzrecht befreien können.
Das Bedrohungsszenario bleibt aber das Gleiche: Ist es jetzt Google, dass den europäischen Medien Werbegelder streitig macht, werden es künftig Facebook und Twitter sein, mit denen sie um die Werbebudgets rittern müssen. Wie schwer dieser Kampf sein wird, kann man heute bereits erahnen: Wer sich heute etwa zu den dramatischen Ereignissen in der Ukraine oder in Gaza informieren will, der findet bei Twitter bereits so viel Verlags-Content, dass er gar nicht mehr auf die Nachrichtenseite klicken muss.
Mein Artikel über Leistungsschutz, Google und Facebook jetzt im Magazin "Der digitale Wandel" - Jakob SteinschadenJakob Steinschaden