Im Zuge des Netflix-Starts in Deutschland und Österreich hatte ich auch die Gelegenheit, mit Neil Hunt, dem Chief Product Officer des Streaming-Dienstes, ein Gespräch zu führen. Hunt, mit seinem Team verantwortlich für die gesamte Technologie des Videostreaming-Dienstes verantwortlich, gab mir dabei einige spannende Einblicke in die künftige Entwicklung des Services. Spannend fand ich vor allem seine Antworten auf die simple Frage, warum Netflix keinen Offline-Modus anbietet, damit man sich Inhalte für die Zeit im Flugzeug, im Zug oder im Ausland so wie bei Spotify auf Tablet, Smartphone oder Notebook speichern kann.
Netflix will im Flugzeug und im Hotel streamen
“Eine Offline-Funktion verlangt vom Nutzer vorauszuplanen, und das machen Menschen einfach nicht gerne”, sagt Hunt. “Man muss sich überlegen, was man später sehen will, den Speicherplatz managen oder freiräumen. Aus unserer Sicht ist es effektiver, herauszufinden, wie Netflix in Flugzeugen oder in Zügen streamen kann.” Hunt verwies dabei auf das Open-Connect-Programm von Netflix, in dessen Rahmen man Partnerschaften mit Internet-Providern schließt (z.B. mit der Deutschen Telekom), damit die Videostreams in bestmöglicher Qualität beim User ankommen. Zudem würde man in Gebieten, in denen mehr als 5000 Haushalte Netflix nutzen, zusätzliche Content-Server aufstellen, damit die Distanz zum Ort des Abrufs möglichst klein wird. “Wir werden Content-Server in die Flugzeuge bringen”, sagt Hunt. “Die meisten Flugzeuge haben ohnehin schon Entertainment-Systeme an Bord, und über diese könnten wir unsere Inhalte verbreiten. Das Gleiche könnten wir in Hotels machen.” Durch stetig sinkende Kosten würde das in wenigen Jahren bereits Sinn machen.
Experimente mit Zero Click
Hunt erklärte auch, dass beim Interface, dass User auf Smart-TVs, Smartphones oder Tablets zu gesicht bekommen, nichts dem Zufall überlassen sei. Mit Hilfe von AB-Tests würde man nach den beiden Prinzipien “ease of use” und “simplicity” die Benutzeroberfläche gestalten – nur bei Apple (iOS-Apps, Apple TV) ist man an die strikten Designvorgaben gebunden, die manches verhindern. Kürzlich hat Netflix auf Flat-TVs das Porträtformat (also die DVD-Cover) gegen das horizontale 16:9-Format ausgtauscht. “Wir haben gelernt, dass weniger Titel auf dem Bildschirm, also neun statt 16, besser funktionieren”, so Hunt.
Außerdem sei man immer bestrebt danach, die für den Nutzer notwendigen Klicks zu minimieren. Hunt schwebt bereits ein “Zero Click”-Verfahren vor. Wenn der User einen Film oder eine Serie anwählt und eine Weile auf der Ansicht bleibt, dann könnte der Titel bald auch automatisch starten. “Wir wissen aber noch nicht, ob auch die User das gut finden werden. Sie könnten sich von der Funktion auf gestört fühlen, wenn etwas startet, was sie gar nicht sehen wollen.”
Alle “Originals” in 4K-Qualität
Auch bei der Bildqualität sieht sich Netflix als Vorreiter. Die so genannten “Originals”, also Netflix-Eigenproduktionen wie “House of Cards”, “Orange is the new Black” oder “Lillyhammer” werden künftig allesamt in der 4K-Auflösung gedreht, die die vierfache HD-Qualität verspricht. “Es mag verfrüht sein, aber für uns ist das eine wichtige Demonstration von Führerschaft bei einer neuen Technologie”, sagte Hunt in Hinblick auf die sehr geringe Verbreitung von 4K-Falt-TVs. “Als herkömmlicher Broadcaster muss man für 4K das ganze Equipment austauschen oder gleich einen neuen Kanal starten. Bei Blu-ray etwa mussten die Shops extra Verkaufsflächen schaffen und die Kunden dazu bringen, einen entsprechenden Player zu kaufen. Die Barriere ist also sehr hoch. Wir als Internet-Dienst haben es da viel einfacher, wir können jedem, der einen 4K-Flat-TV hat, einfach den Content liefern, wenn er es wünscht.”
60 Milliarden Daten pro Jahr
Auch bei der Personalisierung von Content sieht man sich bei Netflix als Vorreiter. Theoretisch sieht die Startseite für jeden User anders aus, weil sie sich ausschließlich aus Empfehlungen für ihn zusammensetzt. Vor fünf Jahren, da ist man als Österreicher ein wenig stolz darauf, hat die steirische Firma Commendo den Netflix Prize als Mitglied des Teams “BellKor’s Pragmatic Chaos” gewonnen, weil man es schafftte, den Empfehlungs-Algorithmus des Streaming-Dienstes um 10,06 Prozent zu verbessern.
Dieser Algorithmus baute damals sehr stark auf Self-Reporting-Daten der User, in erster Linie auf die Sternbewertungen. Heute sammelt Netflix aber viel mehr implizite als explizite Daten – 60 Milliarden Daten pro Jahr, wenn man Hunt Glauben schenkt. “Heute bekommen wir zehn Mal mehr Daten als bloß diese Sternbewertungen”, so Hunt. “Diese impliziten Daten sind wichtiger als explizite Daten wie Sternbewertungen.” Implizite Signale wie die Sehdauer oder das Schauen von mehreren Episoden am Stück würden dem Algorithmus wichtige Informationen über die Vorlieben des User geben.
Andere Verwendungszwecke für Wearables
Bei Netflix denkt man nicht nur über riesige 4K-Flat-TVs nach sondern auch über die vielen kleinen Displays, die heute in Form von Wearables (Daten-Brillen, Smartwatches) vor die Augen der User kommen. “Wir haben schon mit Oculus Rift experimentiert, aber ich glaube nicht, dass Virtual-Reality-Brillen die Zukunft des Filmschauens ist”, sagte Hunt. “Ich glaube eher, dass wir weiter große Screens oder Projektoren zu Hause haben.” Die Zukunft seien gebogene Screens, die das ganze Blickfeld des Users ausfüllen und auf denen links und rechts im Sichtfeld zusätzliche Inhalte (z.B. von hinten heranrasende Autos oder abgefeuerte Pfeile) gezeigt werden, um den Seher noch stärker ins Geschehen des Films zu bringen.
Smartphones und Wearables hätten bei Netflix andere Einsatzbereiche. “Die Leute besuchen Netflix zwar auf vier, fünf Zoll großen Screens, aber viele Stunden verbringen sie nicht damit. Smartphones werden eher dazu genutzt, nachzuschauen, was man sich später ankucken könnte.”
Twitter-Anbindung wird überlegt
“Wir hatten gehofft, dass uns Facebook viel mehr Traffic bringt, aber es gibt einigen Widerstand dagegen, automatisch zu sharen, was man sich ansieht”, sagte Hunt schließlich über die Integration des Online-Netzwerks. Bisher hat er sich dagegen entschieden, auch den Kurznachrichten-Dienst Twitter in Netflix einzubinden – immerhin hat sich Twitter zu einer wichtigen Second-Screen-Anwendung entwickelt, über die sich User zu TV-Inhalten austauschen und sich neuen Content empfehlen. “Es macht sicher viel Sinn, während einem Live-Event zu tweeten, aber bei Netflix geht es nicht um den Live-Charakter. Ich bin nicht überzeugt, ob dass bei uns Sinn machen würde”, so Hunt. “Wenn wir mit unserer Facebook-Strategie Erfolg haben, wo es um Empfehlungen und Interaktion geht, dann werden wir uns ansehen, ob es auch Sinn macht, Twitter einzubauen.”
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