Wie viele Klicks sind weniger als einer? Richtig: Null. Mit dem Like-Button, den Facebook auf Basis des Open Graph Protocol im April 2010 eingeführt hat, wurde das Erstellen von „User Generated Content“ (UGC) auf einen einzigen Klick reduziert. Einmal draufdrücken, und man publiziert, welchen Song/Text/Clip/etc. man mag. Eineinhalb Jahre später hat Facebook seine eigene 1-Klick-Lösung unterboten. Mit Open Graph Beta stellte Mark Zuckerberg eine Technologie vor, die die Erfassung von Nutzeraktivitäten im Internet auf Null Klicks reduziert – oder anders gesagt: Facebook will seine Mitglieder künftig ohne deren eigenes Zutun erfassen.
Smartphones und Web-Dienste sollen künftig nach der einmaligen Zustimmung des Facebook-Nutzers spezifische Daten an dessen Facebook-Account senden und dort je nach Einstellungen sichtbar für Freunde und Nicht-Freunde veröffentlichen können. Das ist natürlich für Marketing-Zwecke interessant, weil so Musik, Filme, Rezepte, Dienstleistungen etc. sehr einfach zwischen den Nutzern empfohlen werden können (im Gegensatz zu selbst geschriebenen „Mir ist fad“-Postings). Warum Facebook aber gerade jetzt – nach diversen Datenschutz-Skandalen und der Stagnation der Zuwächse – auf die automatische Erfassung drängt, hat aber vielleicht auch andere Gründe: Weil die Nutzer immer weniger von sich aus veröffentlichen (wie ZDNet vermutet) und weil sie dabei nicht ehrlich sind (wie der Blog Silicon Filter schreibt).
Apps und Webseiten senden Daten
Hat ein Facebook-Mitglied jedenfalls einmal auf einer Webseite oder in einer App auf „Add to Timeline“ (eine deutsche Übersetzung fehlt noch, wird aber wohl „zur Chronik hinzufügen“ heißen) geklickt, sendet diese Webseite oder App automatisch Daten an Facebook – und zwar immer dann, wenn der Nutzer etwas tut. Bei Spotify werden etwa automatisch Informationen darüber weitergegeben, welche Songs sich der Nutzer anhört, bei Netflix Infos über den Videokonsum, etc. Diese Daten werden an drei Orten bei Facebook veröffentlicht: In der neuen Timeline (mein Test dazu hier), in den Newsfeeds der Facebook-Freunde und im Ticker rechts oben auf der Startseite (ein Bericht von mir dazu hier). Das Versprechen an die App-Anbieter, die den neuen Open Graph einbauen: Sie sollen so via Empfehlungs-Marketing unter den Facebook-Freunden neue Nutzer bekommen. Wie gut das funktioniert, habe ich allerdings schon in Frage gestellt.
In der ersten Phase fokussiert sich Facebook darauf, Online-Aktivitäten zu erfassen – und zwar vor allem solche, die Geld bringen können. Für Musik und Filme sind immer mehr Internet-Nutzer gewillt zu zahlen. Sollten Dienste wie Spotify, Netflix, Hulu oder Pandora durch den Open Graph mehr zahlende Kunden bekommen, könnte Facebook im Hintergrund Vermittlungsprovisionen einsacken (z.B. 30 Prozent der Monatsgebühren). Stößt die geplante automatische Datenerfassung bereits jetzt auf Widerstand vor allem im deutschsprachigen Raum, wird der Aufschrei der Kritiker umso größer sein, wenn Offline-Aktivitäten erfasst werden. So zeigte Facebook auf der Entwickler-Konferenz f8 etwa, wie mit Nike+ eine Laufstrecke live via Smartphone bei Facebook veröffentlicht werden könnte. Marketing-Leute und App-Entwickler werden die Grundidee bald weiterspinnen: Von der automatischen Erfassung von Verabredungen (Dating-Apps) über Reisen (Hotel-Apps) bis hin zu Shopping-Touren (eCommerce) ist vieles technisch machbar und im Sinne der Werbefirma Facebook und ihrer Partner.
Die üblichen Verdächtigen
Der Open Graph kann ab sofort in jede Webseite, jede Facebook-App und jede Smartphone-App eingebaut werden und sendet von dort vollautomatisch die Nutzeraktivitäten an Facebook. Die Liste der Kooperationspartner (siehe Bild oben) zum Start ist auf den ersten Blick beeindruckend, aber auf den zweiten auch logisch: Netflix-CEO Reed Hastings sitzt bei Facebook genauso im Vorstand wie Washington-Post-CEO Don Graham, der Musik-Service Spotify hat die selben Investoren wie Facebook (DST, Accel, Li Ka-shing, Founders Fund), und Web-Dienste wie TripAdvisor, AirBnB oder Zynga bauen schon lange auf die Integration von Facebook. Auch sind mit Causes und Path zwei Start-ups von Anfang an mit dabei, die von Ex-Facebook-Mitarbeitern gegründet wurden (ein Artikel von mir dazu hier). Dass der gebeutelte Ex-Internetriese Yahoo!, der auf der Suche nach einer Überlebensstrategie ist, mit von der Partie ist, wundert auch kaum.
Interessanter ist aber, wer nicht als Open-Graph-Partner dabei ist. Natürlich unterstützen Google-Dienste wie Google+ (mein Test dazu hier) oder YouTube die Technologie nicht. Auch Twitter ist nicht dabei, sondern freut sich wohl auf den bevorstehenden Start von iOS 5 für iPhones und iPads, wo der Kurznachrichten-Dienst tief integriert ist. Von Apple braucht man sich nach der Integration von Musik-Diensten auch keine Open-Graph-Ambitionen erwarten, weil Facebook, Spotify, Rdio u.a. so gegen den Platzhirschen „iTunes Store“ aufbegehren. Was aber schwer verwunderlich ist: Wo ist der Facebook-Investor Microsoft, der erst kürzlich mit seinem Zukauf Skype bei Facebook integriert wurde (mein Bericht dazu hier)? Kein Sterbenswörtchen wurde bisher zu einer Open-Graph-Integration in Windows 8 oder Windows Phone gesagt…
Semantisch, aber nicht offen
Hinsichtlich des „Semantischen Web“ (oder Web 3.0), von dem oft geredet wird, ist der Open Graph jedenfalls interessant. Wie aus der Dokumentation zu entnehmen ist, kann Software so verstehen lernen, was ein Nutzer gerade macht und etwa unterscheiden, ob er etwas liest, anhört oder ansieht. WWW-Erfinder Tim Berners-Lee schwebte bereits 2001 ein „Web der Daten“ vor (sein Artikel dazu hier), in dem Datenbanken über standardisierte Formate untereinander vernetzt sind und Computer Informationen verstehen können. Facebook treibt diese Idee, dass verschiedene Web-Dienste miteinander kommunizieren können (derzeit natürlich sehr primitiv), immer weiter voran. Der Nachteil: Der „Open Graph“ ist anders als sein Name nicht offen, sondern immer nur im Zusammenspiel mit dem Online-Netzwerk einsetzbar – und entspricht damit nicht Berners-Lees Vision.