Premiumbahnen für Firmen: Das Stadthallenbad gibt Ausblick auf ein Leben ohne Netzneutralität

Das Wiener Stadthallenbad in der Innenansicht. © Jakob Steinschaden

Das Wiener Stadthallenbad in der Innenansicht. © Jakob Steinschaden

Sind Sie von der XYZ-Bank?“, fragte mich kürzlich ein Herr mittleren Alters, als ich im Wiener Stadthallenbad meine erste Länge schwamm und gerade am Ende des Beckens für Länge Nummer 2 umdrehen wollte. “Nein, wieso denn?“, fragte ich wassertretend. “Weil die Bahn für die XYZ-Bank reserviert ist. Also schwimmen Sie bitte woanders“, bekam ich als Antwort. Etwas überrumpelt verließ ich die reservierte Bahn und spulte meine Längen auf der daneben ab, während der Ärger in mir wuchs. Auf der für die Bank reservierte Bahn waren nur zwei Schwimmer unterwegs, während sich auf den anderen bis zu zehn Schwimmer drängten, was (wie jeder weiß, der gerne Schwimmen geht), kein besonderer Spaß ist, weil es dann schnell zu stauen beginnt. Besonders ärgerlich ist aber, dass ich zwar schon vollen Eintritt für die Tageskarte bezahlt hatte, damit aber offensichtlich trotzdem ein Gast zweiter Klasse war, der auf eine überfüllte Schwimmbahn ausweichen musste, weil sich eine Firma ihre eigene Strecke reserviert hatte.

Unterwegs auf der Premium-Bahn

Die Situation erinnert mich unweigerlich an die Diskussion um die Netzneutralität, die seit geraumer Zeit durchs Netz wogt. Die Netzneutralität besagt, dass im Internet alle Daten gleich behandelt werden müssen – so, wie im Wiener Stadthallenbad eigentlich alle zahlenden Schwimmgäste alle Strecken nützen können sollten. Wenn viel los ist, dann kommen nach dem Prinzip der Netzneutralität alle Daten gleich langsam voran, genauso, wie wenn viele Schwimmer zur selben Zeit im Hallenbad sind und sich über die Bahnen verteilen. Und umgekehrt: Wenn Kapazitäten da sind, sind alle Daten gleich schnell, egal ob es nun ein E-Mail des Bankdirektors ist oder ein YouTube-Video auf dem Smartphone eines Jugendlichen (oder gerade nur wenige Schwimmer da sind).

Was Firmen nun wollen, ist eine Überholspur. So, wie sich die erwähnte Bank eine Premium-Spur im Stadthallenbad kaufte, damit ihre Mitarbeiter ungestört vom Rest der Badegäste ihre Längen schwimmen können, wollen Internetanbieter anderen Firmen ebenfalls Premium-Verbindungen verkaufen. Wer einen Aufpreis bezahlt, der darf seine Daten schneller durchs Netz schicken. Die Deutsche Telekom etwa würde Unternehmen gerne so genannte “specialised services” verkaufen, denen eine bessere Leitung garantiert wird. Argumentiert wird oft, dass etwa telemedizinische Anwendungen (ein Arzt operiert, indem er aus der Ferne eine chirurgischen Roboter steuert) oder selbstfahrende Autos als solche Spezial-Dienste behandelt werden sollen. Klar: Wenn es um Gesundheit, Sicherheit und Leben von Menschen geht, dann soll natürlich bestmögliche Qualität dafür bereitgestellt werden. Einige europäische Politiker sehen die Abschaffung der Netzneutralität als Möglichkeit, die hiesigen Telekomunternehmen und Mobilfunker stärken zu können, weil ihnen so eine neue Einnahmequelle beschert wird.

Der gute John Oliver erklärt in seiner Show “Last Week Tonight” übrigens sehr sehenswert, was Netzneutralität ist und warum sie wichtig ist:

Überholspur für Google, Netflix und Facebook

Allerdings, so Kritiker wie Netzpiloten-Kolumnist Nico Lumma auf Bild.de, könnten auch andere Anwendungen priorisiert werden. YouTube, Netflix, Spotify, WhatsApp oder Facebook sind heute so genannte “Over the top”-Dienste (OTT), die von Milliarden Menschen genutzt werden, ohne dass die Firmen, die sie anbieten, jemals Infrastruktur aufbauen mussten. Google und Co. sind quasi einfach ins Schwimmbad gegangen und haben dort die Massen begeistert, ohne selbst ein Schwimmbad bauen zu müssen. Den Netzbetreiber (also die, die “Schwimmbäder” wie Internetleitungen und Mobilfunkmasten teuer gebaut haben) schwebt nun vor, extra Eintritt von Google, Facebook oder Netflix zu verlangen, wenn diese auf einer schnellen Bahn unterwegs sein wollen. In Österreich etwa zahlt der Musik-Dienst Spotify dafür, dass er unbegrenzt im Mobilfunknetz von Drei streamen darf – auch dann, wenn der Nutzer seine im Tarif inkludiert Datenmenge eigentlich schon aufgebraucht hat.

Den erwähnten Firmen wie Netflix schmeckt ein Ende der Netzneutralität natürlich nicht, weil sie dann zur Kasse gebeten werden können. Google, Facebook und Netflix allerdings dürften das nötige Kapital haben, um in bester Qualität weiter ihre Dienste anbieten zu können. Wenn aber eine, sagen wir, junge europäische Firma auch einen großen Internet-Dienst aufbauen will, dann könnte das zu teuer für sie sein, weil in Europa viel weniger Risikokapital für Start-ups da ist als in den USA. Die Befürchtung: Das Ende der Netzneutralität könnte die Position der führenden US-Netzriesen zementieren, zum Nachteil der Innovationskraft der EU.

Ein Parlamentsbeschluss, der die Netzneutralität in der EU bekräftigt hat, liegt derzeit beim europäischen Ministerrat. Doch viele Zugeständnisse seitens von Politikern gibt es derzeit nicht, die Netzneutralität auch abzusegnen.

Wird das Internet für Konsumenten teurer?

Auch die Konsumenten könnten ein Ende der Netzneutralität deutlich zu spüren bekommen. Schon jetzt gibt es Tarifmodelle (z.B. beim erwähnten Mobilfunker Drei), bei denen nur die teure Deluxe-Klasse vollen Internet-Speed bekommt, während die anderen Klassen gedrosselt werden. Deals zwischen Internetanbietern und Service-Anbietern könnten auch zur Folge haben, dass nur in teureren Tarifen reibungsloses Musik- oder Video-Streaming gibt – quasi ein “Highspeed-YouTube-Paket” oder ein “Premium-Facebook-Tarif”.

Es wäre dann wie heute im Wiener Stadthallenbad: Man zahlt ohnehin Eintritt, so wie man eine monatliche Gebühr fürs Internet bezahlt. Wenn man aber auch der schnellen Premium-Bahn schwimmen will, dann zahlt man noch einmal oben drauf. Und da muss ich sagen: Ich hätte gerne ein Internet und ein Wiener Stadthallenbad zurück, in dem alle gleich viel für die gleiche Leistung zahlen.

Dieser Artikel ist zuerst bei
Netzpiloten.de erschienen.

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