Pro-Privacy-Allianz: WikiLeaks und Cypherpunks rufen zum Klassenkampf

 WikiLeaks-Gründer Julian Assange, © Jakob Steinschaden


WikiLeaks-Gründer Julian Assange, © Jakob Steinschaden

“System-Administratoren aller Länder, vereinigt euch!” So lautet die große Botschaft, die WikiLeaks-Gründer Julian Assange und sein enger Vertrauter Jacob Appelbaum, der den Anonymisierungs-Dienst TOR mitentwickelt und gemeinsam mit dem “Spiegel” brisante NSA-Dokumente aus dem Snowden-Fundus veröffentlicht, unter den tausenden Hackern auf der Konferenz 30C3 verbreiten wollten. Strukturen bilden, Gewerkschaften gründen, das CIA infiltrieren – so wollen Assange und Appelbaum einen neuen Klassenkampf beginnen, der da heißt: die Internet-Arbeiter der Welt gegen eine nicht klar definierte Machtelite, hinter der man aber die US-Regierung, Großbritannien, die NSA, usw. vermuten kann.

Leben in der Info-Apartheid
So wie sich während der Industriellen Revolution die Arbeiter gegen die Besitzenden formiert hätten, bräuchte es jetzt eben einen Aufstand der Whistleblower, Hacker, Techniker. Der WikiLeaks-Gründer, unfreiwillig komisch über eine dauernd abbrechende Skype-Leitung nach Hamburg “verbunden”, spricht von einer “Informations-Apartheid”, in der der Öffentlichkeit wichtige Daten vorenthalten werden und stattdessen auf den Servern der Informationselite weggesperrt werden. Systemadministratoren, wie es etwa die beiden bekannten Whistleblower Edward Snowden und Chelsea Manning gewesen seien, hätten heute unheimlich viel Macht – diese sollten sie auch nutzen und heikle Informationen aus den Tiefen der Unternehmen und Institutionen, für die sie arbeiten, ans Tageslicht befördern.

imageSnowden-Kontaktmann Jacob Appelbaum, © Jakob Steinschaden

Moment mal: Klassenkampf? Gewerkschaften?? Vereinigt euch??? Das Kommunistische Manifest von Marx und Engels, aus dem der berühmte Satz “Proletarier aller Länder, vereinigt euch” stammt, lässt schön grüßen – der Bezug darauf wirkt 165 Jahre nach seiner Erstveröffentlichung mindestens ungewöhnlich. Doch Marx ist für die beiden Cypherpunks Assange und Appelbaum, die die Verschlüsselung von privaten Daten als einzigen Schutz vor der Macht des Überwachungsstaates sehen, ein wichtiger Bezugspunkt.

Den Gegner infiltireren
Wie mir Appelbaum im Gespräch nach der eher unglücklichen Assange-Schaltung erklärte, würden Internet-Arbeiter, die heute oft nur mehr via Computer und Internet mit ihrem Arbeitgeber verbunden sind, ein grundlegendes Problem haben: Sie seien nicht organisiert, hätten keine Gewerkschaften und wären damit im Nachteil gegen die großen Unternehmen. “Die Occupy-Bewegung ist gescheitert, weil die Bewegung keinen Kern und keine Struktur hatte”, sagte Assange zuvor. “Wir sind letzte freie Generation”, und Vertreter dieser Generation würden es sein, die Institutionen wie die CIA infiltrieren müssten.
imageWikiLeaks-Anwältin Sarah Harrison, © Jakob Steinschaden

Dass sich Assange und Appelbaum, aber auch Enthüllungsjournalist Glenn Greenwald als Freiheitskämpfer im Untergrund gegen einen übermächtigen Staatsapparat sehen und “Pro-Privacy-Allianzen” schmieden, resultiert stark aus ihren eigenen Lebensumständen. Für Appelbaum, der neue Star der Hacker-Szene, gibt es so etwas wie eine Demokratie gar nicht, er spricht von totalitären Überwachungsstaaten, in denen wir heute leben. Für den US-Bürger, der derzeit in Deutschland weilt und von Berlin aus NSA-Informationen veröffentlicht, ist die Bundesrepublik derzeit das geringste Übel; in den USA wäre er vielleicht schon verhaftet worden.

Angst vor USA und Großbritannien
Auch die WikiLeaks-Anwältin Sarah Harrison hat Angst, in ihre Heimat Großbritannien zurückzukehren und wähnt sich vorerst in Berlin sicher. Sie wurde am 30C3 mit Standing Ovations bedacht, weil sie Edward Snowden bei seiner Flucht von Hongkong nach Russland zur Seite stand und bis vor kurzem bei ihm war. Assange wiederum sitzt seit August 2012 in der ecuadorianischen Botschaft in London fest und wird dort für 11.000 Euro pro Tag von der Polizei überwacht. Snowden ist zeitweilig in Russland untergekommen, Greenwald traut sich aus Furcht vor den USA und Großbritannien nicht mehr Brasilien zu verlassen. “Es findet ein Krieg gegen Whistleblower statt“, sagt etwa auch Annie Machon, eine ehemalige Mitarbeiterin des britischen Inlandsgeheimdienstes MI5, die die Überwachung durch den Staat nach ihrem Austritt aus der Organisation am eigenen Leib erfahren musste.

imageEx-MI5-Mitarbeiterin Annie Machon, © Jakob Steinschaden

Wie weit die Whistleblower, Cypherpunks und Hacker ihren Klassenkampf treiben können, ist zunächst völlig unklar. Dass solche Ideen bei einem Event wie dem 30C3 beklatscht werden, ist keine Überraschung – hier predigen Assange und Co. zu den bereits Bekehrten. Schwer werden sie es haben, ihre Gesellschaftstheorie, die sie sich gerade zusammenbasteln, auch der Außenwelt klarzumachen, ohne als radikale Spinner abgestempelt zu werden. Und so wirkt der Cypherpunk-Klassenkampf vorerst einfach nur weltfremd, denn wenn Assange die Vernetzung der Internet-Arbeiter predigt und dabei nicht einmal der Skype-Videoanruf ohne technische Probleme klappt, dann scheint der Sieg über die Daten-Elite noch ganz weit weg.