In Zeiten, in denen vierzehn Prozent aller Web-Suchen Sex betreffen, vier Prozent aller Webseiten Pornografie zum Inhalt haben und man generell das Gefühl hat, im Netz ständig von Erotik umgeben zu sein, ist der Isreali Ran Gavrieli eine Ausnahmeerscheinung. Denn er hat in einem viel beachteten TEDx-Talk erklärt, warum er aufgehört hat, sich im Internet Pornos anzusehen. Im E-Mail-Interview erklärt er, welche Folgen seine Entscheidung für sein eigenes Sexleben hatte, was sich an der Sexualerziehung der Jugendlichen ändern muss und wie gute Pornografie seiner Meinung nach aussieht.
- Ran Gavrieli studiert Gender Studies in Israel und arbeitet außerdem mit Erwachsenen und Jugendlichen in Sachen Sex-Aufklärung
- Porno-Videos beeinflussen laut Gavrieli die Mainstream-Kultur und unsere Wahrnehmung der Geschlechterrollen stark
- Die Webseite MakeLoveNotPorn.tv will ebenfalls das Problem der Darstellung von Sex in herkömmlichen Porno-Videos in den Griff kriegen
„Das hat Wunder bewirkt“
“Ich habe aufgehört, mir Pornografie im Internet anzusehen, weil ich es einerseits süchtig macht und andererseits eine Verschiebung der von Sinnlichkeit hin zu Aggression passiert”, so Gavrieli in einem E-Mail zu mir. “Pornos haben auf verschiedene Art Einfluss auf mein Leben, aber hauptsächlich haben sie die Masturbationsgewohnheiten von natürlicher sexueller Erregung hin zu einer von Langweile getriebenen Aktivität verändert, die immer extremere Bilder benötigte, um zu funktionieren.” Das regelmäßige Betrachten von Sex-Clips hätte zum einen “Zorn und Gewalt” in seine Sexfantasien gebracht, und zum anderen wolle er nicht länger als Konsument die Nachfrage nach “gefilmter Prostitution” steigern. Der Effekt: “Das hat Wunder für mich bewirkt. Ich habe wieder nach und nach begonnen, Fantasien über echte Frauen und echte erotische Kommunikation zu haben.”
Dass Gavrieli diesen außergewöhnlichen Schritt gemacht hat, hat aber auch viel mit seinem Studium und seiner Arbeit zu tun. Er hat an der Universität in Tel Aviv Gender Studies studiert und arbeitet derzeit an seinem PhD an der israelischen Bar-Ilan-Universität zum Thema.
Mehr Sex-Unterricht gefordert
Nebenbei arbeitet Gavrieli im dem kleinen Land im Nahen Osten mit Jugendlichen und Erwachsenen zusammen, um ihnen dabei zu helfen, ein positives Selbstbild in einer einer Welt zu geben, die, wie er sagt, “von sexuellen Bildern mit negativer Konnotation überschwemmt ist”. Und bei dieser Arbeit sei ihm etwas aufgefallen: “Pornos verändern unsere Wahrnehmung von Geschlechterrollen hin zu einem Modell der Unterordnung, einseitiger Freude, Macht und Gewaltherrschaft. Es ist ein großer Rückschritt für die Fortschritte der Frau in der modernen Welt”, sagt er in Bezug auf die Rollenverteilung von Männern und Frauen in einschlägigen Videos – und diese Rollenverteilung würden die Menschen lernen.
“Die Mainstream-Kultur ist von Pornografie stark beeinflusst und wird draus zum Teil sogar konstruiert. Sex wird nicht länger mit Romantik verbunden. Die ungeschriebenen Gesetze der Coolness junger Menschen heute gebietet ihnen, Porno-Sex ohne menschliche Bindung nachzuahmen”, so Gavrieli. Deswegen müsse die Sex-Erziehung an Schulen dringend ausgebaut werden. “Sex-Erziehung braucht ein Update und muss wieder relevanter werden. In den meisten Schulen werden pro Woche vier bis sechs Stunden Englisch, Mathematik, usw. pro Woche unterrichtet, aber sie bekommen nur sechs Stunden pro Jahr für eines der wichtigsten Dinge im Leben – das muss sich ändern.”
„Gute“ Pornografie?
Was Gavrieli natürlich nicht will: die komplette Abschaffung sämtlicher Pornografie im Netz. Schließlich gäbe es auch eine positive Form von Pornos. “Gute Sex-Filme haben einen künstlerischen Anspruch und beuten niemanden aus. Der Film “Shortbus” zum Beispiel war bahnbrechend und brillant, weil er uns Sex gezeigt hat, indem er die Menschen und den emotionalen Kontext gezeigt hat. Es ist ein qualitativer Film, bei dem Menschen trotzdem vollen sexuellen Kontakt haben.”
Gavrieli ist aber nicht der einzige, der etwas gegen den Einfluss von Online-Pornografie unternehmen möchte. Die britische Unternehmerin Cindy Gallop etwa hat mit der Webseite MakeLoveNotPorn.tv einen Online-Marktplatz für authentische, ehrliche Sex-Videos geschaffen. Hier können Privatleute ihre selbstgedrehten Clips hochladen und werden an den Einnahmen der Plattform beteiligt. Das schmeckt aber nicht allen, auch Gavrieli nicht. “Wenn MakeLoveNotPorn.tv eine Webseite für Exhibitionisten wäre, die ihr Privatleben einfach zum Spaß teilen, dann würde es etwas wert sein. Aber so weit ich weiß, ermutigt MLNP die Leute, es für Geld zu tun, wovon sie 50 Prozent nehmen. Das ist doch Zuhälterei!”
MakeLoveNotPorn.tv-Initiatorin Gallop hat Gavrieli übrigens bereits geantwortet:
„No, to Ran Gavrieli’s comment, http://makelovenotporn.com/ is not ‘pimping’. Firstly, I think it’s important your readers understand where MakeLoveNotPorn came from and why I started this venture. MLNP is not porn, not ‘amateur’, but #realworldsex. I designed MLNP.tv around my belief that the business model of the future is Shared Values + Shared Action = Shared Profit (financial and social profit). We are part of the collaborative economy, in the same way as other ventures like Airbnb and Uber. I had to design MLNP.tv to be a self-sustaining business, because I knew no one would fund us – Silicon Valley welcomes innovation and disruption in every other area of our lives except this one, the one that needs it most. This is the battle I and my team fight to build this business every day.”