Es ist schon fast vier Jahre her, da hatte die Firma Mozilla, Schöpfer des Firefox-Browsers, eine interessante Idee: Mit „The Coop“ arbeitete man an der direkten Integration von Social-Networking-Funktionen in den Browser. Manchen fiel es wie Schuppen von den Augen: Na klar! Anstatt die Leute auf eigene Webseiten surfen zu lassen, könne man die Chat- und Netzwerk-Funktionen doch direkt in den Browser einbetten. Die Nutzer-Basis war längst geschaffen, hunderte Millionen Menschen stiegen täglich mit dem Browser ins Web ein. Mit Flock gab es zu diesem Zeitpunkt bereits einen solchen „sozialen Browser“, den man mit Facebook, MySpace, YouTube, Flickr oder Twitter connecten und über Schaltflächen direkt bedienen konnte, ohne die entsprechenden Webseiten ansurfen und sich dort einloggen zu müssen. Mein Eindruck damals: Flock erfüllte beide Aufgaben (das Netzwerken und das Browsen) schlecht, weil er zu viel auf einmal wollte.
So gesehen ist RockMelt, ein kürzlich gestarteter Browser, der stark auf Facebook setzt, keine neue Idee. Das Start-up aus Mountain View im Silicon Valley, wo auch Google zu Hause ist nutzte den Wirbel rund um Zuckerbergs und legte nach einem Jahr Entwicklungszeit einen an der medialen Resonanz gemessenen beachtlichen Start hin. RockMelt gab sich als Facebook-Browser aus, mit dem man direkt in der Software – quasi neben dem Surfen – alle wesentlichen Facebook-Funktionen nutzen kann. Zur Popularität trug auch ein gefinkelter, viraler Verbreitungs-Mechanismus bei, der es ersten Betatestern erlaubte, einige wenige Facebook-Freunde zum Ausprobieren einzuladen. Nachdem ich mir auch einen solchen „Invite“ gesichert hatte (wer will, ich habe fünf Einladungen), legte sich die Euphorie aber ziemlich schnell. Hier meine Erfahrungen nach etwa zwei Wochen Testzeit:
Datenweitergabe: Damit RockMelt funktioniert, muss man der Gratis-Software beim Start Zugriff auf seinen Facebook-Account gewähren. Schon bei diesem Schritt werden Datenschützer die Hände über dem Kopf zusammenschlagen, den die Informationen, die RockMelt abgreifen will, sind ziemlich heikel. Wer den Browser also nutzen will, erlaubt ihm Zugriff auf:
-> Alle allgemeinen Personendaten wie Name, Profilbild, Geschlecht, Netzwerke, Nutzerkennnummer, Freundesliste und alle anderen Informationen, die ich mit „Allen“ teile
-> Alle Profilinformationen wie „Gefällt mir“, Musik, Fernsehen, Filme, Bücher, Zitate, Über… mich, Aktivitäten, Interessen, Gruppen, Veranstaltungen, Notizen, Geburtstag, Heimatstadt, Derzeitiger Wohnort, Webseite, Religiöse Ansichten und politische Einstellung, Ausbildung, Bisherige Arbeitgeber und Facebook-Status
-> Alle hochgeladenen Fotos und Videos
-> Alle Informationen der Freunde wie Geburtstage, religiöse Ansichten und politische Einstellung, Familienmitglieder und Beziehungsstatus, Partner und Beziehungsdetails, Heimatstädte, Derzeitige Städte, „Gefällt mir“, Musik, Fernsehen, Filme, Bücher, Zitate, Aktivitäten, Interessen, Ausbildung, Bisherige Arbeitgeber, Onlinepräsenz, Webseiten, Gruppen, Veranstaltungen, Notizen, Fotos, Videos, Fotos und Videos von diesen, „Über mich“-Details und Facebook-Status
Theoretisch könnte RockMelt aus der Verbindung der Facebook-Daten und dem Surf-Protokoll sehr genaue Personenprofile über deren Interessen erstellen und für Werbung einsetzen. Geplant ist derzeit noch nichts, irgendwann in näherer Zukunft muss RockMelt aber ein Geschäftsmodell entwickeln, um sich zu finanzieren.
Sehr sozial: RockMelt wird anschließend tatsächlich zu einem sozialen Fenster ins Web. Denn mit zwei Leisten Interaktionsleisten links und rechts, die anderen Browsern fehlen, rahmen ab sofort die angesurften Webseiten. Die Chat-Leiste links blendet alle Facebook-Kontakte ein, die gerade online sind und damit für einen Live-Chat verfügbar sind. Mit einem Klick auf das Profilbild kann man sofort ein Chat-Fenster öffnen und losschreiben.
Kontakte, die offline sind, kann man auch Direktnachrichten schreiben. Rechts ist die Apps-Leiste, die Interaktion mit Web-Inhalten erlauben soll. So kann man seinen Facebook-News-Feed mit einem Klick abrufen oder auf Twitter zugreifen. Außerdemlassen sich RSS-Feeds von Blogs oder Webseiten in dieser Leiste ablegen und bei Bedarf einblenden. Außerdem gibt es neben der Adress-Leiste für die URL einen „Share“-Button, über den man die gerade angezeigte Webseite auf der Pinnwand posten kann, um Freunde aufmerksam zu machen. Damit sind die drei wichtigen Kommunikationswege (Chat, Direktnachricht und Pinnwand) gut bei RockMelt integriert.
Ständige Störung: Ich verwende einen Browser meist zum Arbeiten (privat sind es mittlerweile eher Apps, über die ich Internet-Inhalte abrufe), und für diesen Zweck ist RockMelt eher nicht zu empfehlen. Man wird ständig durch virtuelle Lämpchen und Zahlen darauf aufmerksam gemacht, wer gerade online ist und welche Status-Meldungen und Tweets auf den jeweiligen Portalen zum Abruf warten. Diese „Push“-Mechanismen sind tückisch, da sie immer Gelegenheit zur Ablenkung bieten und leicht aus der Konzentration (z.B. Lesen eines längeren Online-Artikels) reißen.
Langsamer Surfen: RockMelt basiert auf Chromium, dem Open-Source-Fundament für Googles Browser Chrome. Die Entwickler haben also nicht von Grund auf einen neuen Browser entwickelt, sondern im Prinzip Google Software im Wesentlichen um die zwei Balken links und rechts ergänzt. Mir erscheint RockMelt einen Tick langsamer als andere Browser. Außerdem bietet er leider auch nicht die Möglichkeit, links eine Spalte mit Lesezeichen anzuzeigen. Bookmarks muss man rechts oben ausklappen, was das Ansurfen von den Lieblingsseiten verlangsamt. Auch das kleine Suchfeld rechts oben ist nicht so gut umgesetzt wie etwa bei Firefox: Man kann nur eine Suchmaschine als Standard festlegen und nicht schnell zwischen verschiedenen Suchfunktionen (z.B. Wikipedia, YouTube, Wörterbuch.info, etc.) wechseln. Insgesamt surft man so langsamer durchs Web.
Die Facebook-Connection:
Kaum verwundert hat mich, dass es bei RockMelt auch eine Verbindung zu Facebook gibt. Denn der große Geldgeber der jungen Firma ist Marc Andreessen, der mit Mosaic den ersten massenhaft genutzten Web-Browser entwickelt hat und später mit Netscape den ersten Browser-Krieg gegen Microsofts Internet Explorer ausgefochten hat. Er betreibt außerdem das mittlerweile strauchelnde Online-Netzwerk Ning.com und – am wichtigsten – sitzt seit dem Jahr 2008 im Vorstand von Facebook. Insofern würde es mich nicht wundern, dass RockMelt über kurz oder lang von Facebook aufgekauft wird – immerhin gab es bereits mehrmals Gerüchte, dass Facebook selbst an einem Internet-Browser arbeitet.