Die offizielle Timeline, die die wichtigsten Meilensteine von Facebook listet, liest sich für 2010 ziemlich bescheiden. Gerade einmal vier Einträge gibt es für das bisher stärkste Jahr des Online-Netzwerks: Die Erreichung der 400-Millionen-Grenze im Februar, die 500 Millionen im Juli sowie die Launches von „Places“ und „Questions“. Tatsächlich hat sich aber viel mehr getan, was die offizielle Firmengeschichte verschweigt. Im Jahresrückblick möchte ich deswegen noch einmal rekapitulieren, was sich getan hat. (Im zweiten Teil meines Rückblicks zeige ich einige bemerkenswerte Fälle, die sich in Zusammenhang mit Facebook ereignet haben).
1. Enormer Wachstum: Womit sich Facebook brüsten darf, ist sein Wachstum. In knapp sechs Monaten konnte die Mitgliederzahl um 100 Millionen Menschen vergrößert werden. Eigentlich habe ich erwartet, dass im Dezember die 600-Millionen-Marke überschritten wird – was wohl im Jänner zu erwarten ist. Damit liegt man in Sachen Nutzerzahlen noch weit hinter Google (etwa 970 Mio.) und Microsoft (etwa 860 Mio.), hat aber im Dezember die bisherige globale Nr. 3, Yahoo!, überholen können. Zu Spitzenzeiten (z.B. Weihnachten 2009 in den USA) hat es sich schon angedeutet, was kürzlich das Analyse-Unternehmen Hitwise bekannt gegeben hat: Facebook lockt in den USA bereits mehr Nutzer an als Google.com (exklusive YouTube, Maps, etc.). Kein Wunder, schließlich war der Firmenname 2010 meist gesuchter Begriff bei der Suchmaschine.
2. Wandel am Werbemarkt: Mit den steigenden Nutzerzahlen – Facebook wächst viel schneller als Google und Microsoft – ändert sich auch der Online-Werbemarkt: Wie ComScore erhoben hat, lieferte Facebook in den USA im 3. Quartal 297 Milliarden Ad-Banner aus. Das entspricht etwa einem Viertel des Gesamtmarkts. Im ersten Quartal waren es noch 16, im zweiten 17,5 Prozent. Durch diesen schnellen Wachstum im Werbegeschäft kommt man Google also auch bei dessen Haupteinnahmequelle in die Quere.
3. Neue Einnahmequellen: Wie ich bereits in meinem Ende September 2010 erschienen Buch „Phänomen Facebook“ analysiert habe, reicht Facebook Werbung als alleinige Einnahmequelle nicht. So hat man 2010 einerseits ein Vorantreiben der „Facebook Credits“ gesehen: Partnerschaften mit allen wichtigen Facebook-Spiele-Anbietern wurden geschlossen, „Credits“ kamen in US- und GB-Supermärkte. Zum anderen versucht Facebook, sich zu einem Online-Marktplatz zu machen, um eBay und Amazon das Geschäft streitig zu machen.
4. Enttäuschende mobile Software: Beim Thema Handy hat Facebook nicht auf voller Linie überzeugt: Ein von vielen – auch von mir – erwartetes eigenes Smartphone bzw. Handy-Betriebssystem ist ausgeblieben. Stattdessen überlässt man es App-Anbietern, Facebook-Funktionen wie Login und Ortung (Artikel dazu hier) einzubauen. Viel war davon noch nicht zu sehen. Auch die in die offiziellen Apps eingebaute Ortungsfunktion „Places“ dürfte nicht der erwartete Erfolg gewesen sein. Daten über die Nutzung wurden bisher keine genannt. Österreich ist im Gegensatz zu Deutschland und der Schweiz noch nicht für Places freigeschaltet. Einer eigenen iPad-App („Das iPad ist nicht mobil“) erteilte Zuckerberg eine Absage.
5. Ungefragte Datenweitergabe ausgeweitet: Die so genannte „Instant Personalization“ (Artikel dazu hier) die bei ihrem Start Ende April heftig kritisiert wurde, wird weiter ausgebaut. Sie erlaubt es, dass fremde Webseiten automatisch Nutzerdaten von Facebook-Mitgliedern bekommen, um ihren Content an die Interessen und demografischen Merkmale der Nutzer anzupassen. Beobachter haben das Thema weitgehend aus den Augen verloren, die Liste der Kooperationspartner ist aber still und leise weitergewachsen: Yelp, Docs.com, RottenTomatoes, Bing, Clicker, TripAdvisor, Pandora und Scribd sind in den USA bereits Partner.
6. Integration in fremde Webseiten: Das Ende April auf der „f8″ vorgestellte „Open Graph“-Protokoll kann aus Facebook-Sicht als voller Erfolg gezählt werden. Mehr als zwei Millionen Webseiten (Blog-Eintrag dazu hier)haben die darauf basierenden Social Plugins (Like-Button u.a.) integriert. Offiziellen Zahlen zufolge sollen 10.000 neue Webseiten dazukommen, die dem Lockruf von erhöhter Nutzeraktivität erliegen. Weit weniger bekannt ist, dass die Social Plugins auch dazu dienen, die Nutzer auf ihrem Weg durchs Web zu tracken.
7. Erfassungstool „Taggen“: Wie bei näherer Betrachtung von neuen Facebook-Produkten klar wird, treibt das Online-Netzwerk die Erfassung der Welt vor allem durch das „Taggen“ voran. Höchst kontrovers dabei ist, dass Facebook-Nutzer dazu animiert werden, andere Personen zu markieren. Bei Fotos und Videos ist daraus ein regelrechter Volkssport geworden, auch bei der neuen Gruppen-Funktion und bei der Ortungs-Funktion „Places“ ist das möglich. Das Taggen trägt nicht unbedingt zur besseren Kontrolle über die eigenen Daten bei, und man kann davon ausgehen, dass es in neuen Produkten immer fixer Bestandteil sein wird.
8. Kapitulation vor der eMail: Facebook sieht sich zwar gerne als der Nachfolger des klassischen eMails, ohne der elektronischen Post kommt es aber nicht mehr aus. So kann man die künftige Option, über @facebook.com-Adressen (Artikel dazu hier) eMails hinein und hinaus schicken zu können, durchaus auch als Kapitulation vor der Jahrzehnte alten Technologie sehen, ohne die selbst Facebook nicht auskommt.
9. Mangelhafter Datenschutz: Wie eine Untersuchung von Stiftung Warentest im März zeigte, ist Facebook beim Umgang mit Nutzerdaten, bei den Nutzerrechten und bei der Datensicherheit „mangelhaft“. Die Weitergabe von Nutzerdaten durch Facebook-Apps an Werbe- und Trackingfirmen (Artikel dazu hier) trug ebenfalls zu einem schlechten Gesamteindruck bei.
10. Kein Gefühl für Privatsphäre: Zwar ist die Privatsphäre bei Facebook aus juristischer Sicht eine Illusion (fast immer bewegt man sich in einer Online-Öffentlichkeit), trotzdem versucht die Firma, seinen Nutzern eine vorzugaukeln – und das mehr schlecht als recht. Um die Weltöffentlichkeit zu beruhigen, präsentierte Zuckerberg Ende Mai neue Privatsphäre-Einstellungen, die aber höchstens als halbherziger Versuch gewertet werden können. Seither empfiehlt Facebook neuen Nutzer (seit Mai sind das 100 bis 150 Millionen Personen), alle Status-Updates, Fotos und Videos für „Alle“ sichtbar zu machen. Die potenzielle Öffentlichkeit, die darauf zugreifen darf: 1,9 Milliarden Internet-Nutzer weltweit.
11. Geburt eines langweiligen Stars: Zur „Person des Jahres“ gewählt und mit einem Hollywood-Film (Artikel dazu hier) bedacht, ist Facebook-CEO Mark Zuckerberg zu einem internationalen Star aufgestiegen, dessen Antlitz schon von vielen Titelseiten lachte. Bei näherer Betrachtung ist seine Person allerdings reichlich unspektakulär, und bei vielen Interviews (siehe etwa hier, hier und hier) wird man das Gefühl nicht los, dass er eigentlich nichts zu sagen hat und eingelernte Phrasen immer und immer wiederkäut.