Bald endlich könnte der Telefonhörer, den der populäre Kommunikations-Dienst WhatsApp im Logo trägt, Sinn machen. Schon vor einem Jahr hat Gründer Jan Koum, der seine Messaging-App um 22 Milliarden US-Dollar an Mark Zuckerberg verkaufte, kostenlose VoIP-Telefonate versprochen, jetzt dürfte der Start der Funktion kurz bevorstehen. Gratisanrufe sind dabei nicht nur ein Angriff auf konkurrierende Apps mit ähnlichen Funktionen, sondern werden die Diskussion rund um die Netzneutralität neu entfachen.
Bereits vor etwa einem Jahr angekündigt, mehren sich jetzt die Zeichen, dass die Facebook-Tochter WhatsApp demnächst eine Telefonie-Funktion (VoIP) in seinen Apps freischalten wird. Nutzer auf reddit berichteten, dass sie das Feature bereits ausprobieren konnten, und Ende Dezember hat der Android-Blog AndroidWorld.nl bereits entsprechende Screenshots gezeigt, die die Anruf-Funktion zeigen. Die VoIP-Anrufe soll dabei auch Funktionen wie automatische Antworten (z.B. “Kann gerade nicht antworten”) oder die einfache Koppelung mit Bluetooth-Geräten (Headset, Auto, etc.) beinhalten.
Aufholen auf die Konkurrenz
Innovativ ist WhatsApp nicht, sondern sieht sich eher gezwungen, mit konkurrierenden Messaging-Apps wie Line, WeChat oder Viber gleichzuziehen. Diese und andere Dienste (z.B. Skype) bieten schon lange kostenlose VoIP-Telefonate an. Auch bei Facebooks hauseigenem Messenger kann man Anrufe tätigen, allerdings nur zu anderen Facebook-Nutzern. Die Aufregung rund um die WhatsApp-Pläne resultiert eher aus der Marktmacht des Dienstes. Mit mehr als 600 Millionen monatlich aktiven Nutzern und Zuwachsraten von einer Million neuen Usern pro Tag liegt man deutlich vor der Konkurrenz, das Knacken der eine Milliarde Nutzer scheint noch 2015 möglich. Fraglich ist, ob die App künftig als Skype- bzw. Telefonie-Ersatz wahrgenommen wird oder eher weiter zum Text-basierten Chatten verwendet wird. Wie erste Nutzer berichten, wird die Funktion erst freigeschaltet, wenn man von einem anderen User angerufen wird. Diese Strategie könnte Früchte tragen, weil sich die VoIP-Möglichkeit dann viral im Netzwerk verbreiten würde.
WhatsApps Telefonie-Funktion wird Wasser auf den Mühlen der europäischen Telekomkonzerne sein. Sie wettern schon länger gegen die so genannten Over-the-Top-Dienste (OTT) wie WhatsApp, die Konkurrenzprodukte zu ihren Angeboten (Telefonie, SMS, etc.) kostenlos anbieten und damit ihre Geschäftsmodelle untergraben. Während sie die notwendige Infrastruktur bezahlen würden, könnten US-Firmen ihre Dienste über ihre Netze anbieten, ohne einen Cent in Funkstationen oder Breitbandnetze zu stecken.
Die Deutsche Telekom etwa wird in den kommenden fünf Jahren 23,5 Mrd. Euro in seine Netze (Breitband, Mobilfunk) investieren, die Telekom Austria steckt dieses Jahr etwa 400 Mio. Euro in sein Glasfasernetz.
Kampf um Einnahmen
Um diese massiven Aufwendungen kompensieren zu können, drängen Telekoms die Politik schon länger zu der Möglichkeit, Internetfirmen wie Google, Facebook, Spotify oder Netflix zur Kasse bitten zu können, wenn diese priorisierte Leitungen für ihre Services wollen. Facebooks neuer Chef für Messaging-Produkte, der ehemalige PayPal-Präsident David Marcus, argumentiert hingegen, dass man den Telekoms vielmehr helfen würde, Internetzugänge an die Konsumenten verkaufen zu können. Ein Smartphone samt Tarif würde ja erst Sinn machen, weil man dann all die tollen Dienste von Facebook und anderen nutzen könne. Was er nicht dazusagt: WhatsApp verlangt von seinen Nutzern eine Jahresgebühr von einem Euro, ist also nicht komplett kostenlos.
Damit wird sich die Diskussion rund um die Netzneutralität weiter zuspitzen. Der neue EU-Digitalkommissar Günther Oettinger sagt zum einen, dass keine Daten bevorzugt werden dürfen, spricht aber zum anderen von Diensten im öffentlichen Interesse, die Vorrang bekommen können sollen – welche das genau sind, ist derzeit Auslegungssache. Das EU-Parlament stimmte im April 2014 für die Beibehaltung der Netzneutralität, also die technische Gleichbehandlung des Datenverkehrs. Ob das so bleiben wird, ist fraglich.
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