Na endlich, atmen Facebook-Feinde auf der ganzen Welt auf. Endlich gibt es die langersehnte Alternative zum dem Online-Netzwerk mit – je nach Erhebung – 750 bis 780 Millionen Mitgliedern. Wirklich vertrauensvoll ist die Firma, die den „Facebook-Killer“ lanciert aber in Sachen Datenschutz und Privatsphäre auch nicht: Denn Google+ (derzeit nur eingeschränkt auf Invite-Basis nutzbar) stammt natürlich von jener Firma, die in der jüngeren Vergangenheit mit Street View, WLAN-Daten-Sammlung und Buzz-Privatsphäre-Debakel in mitteleuropäischen Datenschützerkreisen auf wenig Gegenliebe stieß.
Google+ war nur eine Frage der Zeit: Schon im Vorjahr geisterten Gerüchte durchs Netz, dass bald ein Online-Netzwerk namens „Google Me“ starten könnte. Der Internetkonzern hat sich aber Zeit gelassen und offensichtlich intensiv an seiner Variante des Online-Freundschafterln gefeilt (für das hübsche Design ist offensichtlich Apple-MacIntosh-Veteran Andy Hertzfeld mitverantwortlich). Ein netter Google-Mitarbeiter (sein Name soll an dieser Stelle nicht erwähnt werden) hat mir in der Nacht auf heute einen der begehrten Invites geschickt, sodass ich mir schon einen ersten Eindruck von Google+ machen konnte.
Das Profil Herzstück jedes Google+-Accounts ist – eh klar – das persönliche Profil. Dieses sieht mit seinen drei Spalten (links persönliche Infos, Newsfeed in der Mitte, rechts Interaktionsmöglichkeiten mit anderen Nutzern) verdächtig nach Facebook aus, aber sehr viel anders lässt sich ein Online-Netzwerk wohl kaum gestalten. Wer schon ein altes Google Profil hatte: Dieses wird in ein neues Google+-Profil konvertiert. Außerdem muss man sein Picasa-Konto und die dort abgelegten Fotos mit Google+ verknüpfen – schon allein wegen dem Profilbild.
Kreise statt Freunde Weil Google anders als Facebook nicht jeden Kontakt als „Freund“ abstempeln will, darf man diese in Circles ordnen. Die Funktion gibt es bei Facebook natürlich auch, aber diese Freundeslisten sind sehr mühsam zu bedienen. Die „Circles“ hingegen sind auf den ersten Blick einfach per „Drag & Drop“ zu erstellen: Man zieht einfach seine Kontakten auf vorangelegte oder selbst erstellte Kreise (z.B. „Kollegen“, „enge Freunde“, „Feinde“) – fertig. Ab jetzt kann man sich beim Veröffentlichen von Statusmeldungen, Fotos oder Videos immer neu entscheiden, welche Kreise diese Inhalte sehen dürfen. Nach längerer Nutzung und bei vielen Google+-Kontakten wird es aber genauso mühsam werden wie bei Facebook, 200 Personen verschiedene Inhalte zuzuteilen. Die Idee mit den Kreisen stammt übrigens nicht von Google: Beim freien Netzwerk Diaspora (mein Blog-Beitrag dazu hier) heißt die Funktion schon seit geraumer Zeit „Aspekte“. Wen überrascht, dass er die vorgeschlagenen Kontakte ja tatsächlich auch im echten Leben kennt und sich durchschaut fühlt – diese liest Google natürlich aus den Gmail-Kontaktdaten aus und verknüpft sie auch auf Google+.
Interessen-Mining „Google darf meine Informationen verwenden, um Inhalte und Werbeanzeigen auf Websites Dritter zu personalisieren“ – beim ersten Einloggen wird man feststellen, dass das Häkchen bei dieser Einstellung schon gesetzt ist (Opt-out statt Opt-in). Wer Google+ nutzt, gibt neben seinen demographischen Daten im Bereich Sparks wahlweise seine Interessen an – etwa Sport, Mode, Filme, Musik uvm. Noch ist bei Google+ kein Werbebanner zu sehen, aber ich gehe stark davon aus, dass Google ein neues AdWords-Werbesystem einführt, dass genau auf die Interessen der Google+-Nutzer geschalten werden kann.
Der +1-Knopf Analog zum „Gefällt mir“-Button auf Facebook gibt es bei Google+ den +1-Knopf. Dieser war schon vorher neben englischsprachigen Suchergebnissen aufgetaucht, jetzt kann man damit auch Statusmeldungen, Fotos etc. damit +1en. Wie Facebook bekommt Google damit intern wie extern immer mehr Angaben darüber, was die Nutzer gut finden. In Folge kann der Werbegigant Inhalte, die die Nutzer in den Feeds und Suchergebnissen besser personalisieren – ein Trend, den etwa der US-Autor Eli Pariser („The Filter Bubble„) mit großer Sorge beobachtet.
Skype-Konkurrent Gegen Microsoft, das kürzlich den VoIP-Dienst Skype für 8,5 Milliarden US-Dollar aufgekauft hat (mein Blogbeitrag dazu hier) hat Google natürlich auch etwas zu bieten. Bei Google+ ist mit Hangout eine Video-Chat-Funktion integriert, die bis zu zehn Teilnehmer gleichzeitig miteinander plauschen lassen kann. Bei Skype sind derzeit nur maximal fünf Personen möglich. Wichtig ist auch, dass dieses Videochatten quer über viele Plattformen funktioniert und auch Desktop mit Handy verbindet.
Gegen Twitter Neben dem direkten Freundschafterln gibt es bei Google+ auch das Follow-Prinzip. So kann ich etwa mitverfolgen, was die Google-Gründer Sergey Brin und Larry Page täglich so öffentlich postne, ohne dass diese meine direkten Google+-Kontakte sind. Damit ergibt sich für Prominente, die viel auf Twitter unterwegs sind, auch bei Google+ eine interessante Möglichkeit, ihre Botschaften an die Nutzerschaft auszusenden, ohne ihnen Zugriff auf ihr Profil geben zu müssen.
Mobile Nutzung Wo ich glaube, dass Google+ die größten Chancen gegen Facebook hat, ist die mobile Welt. Denn Google+ wird ohne Zweifel tief in das Handy-Betriebssystem Android integriert werden. SMS oder Direktnachricht, Anruf oder Hangout-Call, Foto hochladen statt MMS – Android-Nutzer (weltweit mehr als 100 Millionen) werden immer weniger die Notwendigkeit sehen, die Facebook-App aufzudrehen, wenn sie direkt aus Android heraus mit Google+-Nutzern kommunizieren können. Damit sind die Fronten klar: Facebook ist bei Microsofts WP7-Handys integriert, Twitter ab iOS 5 in den mobilen Geräten von Apple. Der Dreikampf um mobile Betriebssysteme weitet sich damit auch auf Online-Netzwerke aus.
Was noch fehlt Bei Google+ vermisse ich im Vergleich zu Facebook vor allem eines: Anwendungen. Nicht, dass ich nicht ohne FarmVille und Co. überleben könnte, aber: Der Erfolg von Facebook ist zu großen Teilen auf die kostenlosen Games zurückzuführen, und die gibt es bei Google+ noch nicht. Es ist aber nur eine Frage der Zeit, bis man WebApps (z.B. aus dem Chrome Web Store) direkt bei Google+ verwenden kann. Weiters gibt es noch keine Möglichkeit, Veranstaltungen via Google+ zu organisieren. Diese sind ebenfalls essenziell, weil sie der direkteste Anknüpfungspunkt zwischen virtueller und echter Welt sind und ein äußerst praktisches Tool sind, um sein Sozialleben zu organisieren. Außerdem gibt es noch keine Möglichkeit, Gruppen zu bilden. Diese haben weniger echten organisatorischen Zweck, sondern dienten schon den Nutzern von StudiVZ dazu, ihre Interessen, Meinungen und Sichtweisen mit dem Beitritt zu einer Gruppe auszudrücken. Firmen werden die Möglichkeit vermissen, sich auf einer Google+-Seite präsentieren und Fans sammeln zu können. Da Google+ kein wohltätiger Verein, sondern ein milliardenschweres Werbeunternehmen ist, wird es eher früher als später ein solches Feature für Unternehmen, Marken, Stars, Politiker und Organisationen geben.